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„ICH WILL DAS HIER NICHT AUSFÜHRLICH ERLÄUTERN; DENN DAS IST VIEL ZU KOMPLIZIERT“. TERMINOLOGIEARBEIT UND TERMINOLOGISCHE ARBEITSVERWEIGERUNG IN PLENARDEBATTEN DES DEUTSCHEN BUNDESTAGS

Author: Marcus Müller orcid logo (TU Darmstadt)

  • „ICH WILL DAS HIER NICHT AUSFÜHRLICH ERLÄUTERN; DENN DAS IST VIEL ZU KOMPLIZIERT“.  TERMINOLOGIEARBEIT UND TERMINOLOGISCHE ARBEITSVERWEIGERUNG IN PLENARDEBATTEN DES DEUTSCHEN BUNDESTAGS

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    „ICH WILL DAS HIER NICHT AUSFÜHRLICH ERLÄUTERN; DENN DAS IST VIEL ZU KOMPLIZIERT“. TERMINOLOGIEARBEIT UND TERMINOLOGISCHE ARBEITSVERWEIGERUNG IN PLENARDEBATTEN DES DEUTSCHEN BUNDESTAGS

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Abstract

Der Aufsatz beschreibt den metasprachlichen Umgang mit Termini im Deutschen Bundestag. Es geht also um die sprachliche Praxis der Terminologiearbeit in einem Umfeld, in dem Begriffsarbeit und Fachsprache zwar einerseits konstitutiv sind, anderseits aber die persuasive Grundfunktion politischer Sprache Verständlichkeit und Allgemeinsprachlichkeit voraussetzt. Auf der Datenbasis der linguistisch aufbereiteten Plenarprotokolle des Deutschen Bundestags wende ich ein korpushermeneutisches Verfahren an. Die verschiedenen Praktiken des Umgangs mit Termini werden beschrieben und an exemplarischen Belegen diskursfunktional bestimmt. Ich unterscheide dabei saliente von nicht-salienten Praktiken der Terminologiearbeit. Es zeigt sich, dass sowohl das Definieren als auch der metakommunikative Umgang mit Terminologie eng mit Praktiken der politischen Positionierung und des semantischen Kampfes in politischen Debatten verflochten ist. Schließlich diskutiere ich die Anwendbarkeit sowohl des Verfahrens als auch der Ergebnisse auf die DaF-Didaktik.


The paper describes the meta-linguistic handling of terms in the German Bundestag. It is about the linguistic practice of terminology work in an environment in which terminology work and technical language are constitutive on the one hand, but on the other hand, the persuasive basic function of political language presupposes comprehensibility and general language. On the data basis of the linguistically processed plenary minutes of the German Bundestag, I apply a corpus-hermeneutic procedure. The different practices of dealing with terms are described and discourse-functionally determined on the basis of exemplary evidence. I distinguish between salient and non-salient practices of terminology work. It is shown that both defining and metacommunicative use of terminology are closely intertwined with practices of political positioning and semantic struggle in political debates. Finally, I discuss the applicability of both the procedure and the results to the didactics of German as a foreign language.

Keywords: Terminologiearbeit, Definieren, trialogische Kommunikation, Korpuslinguistik, politischer Diskurs, Parlamentsdebatten, Rekontextualisierung, terminology work, defining, trialogical communication, corpus linguistics, political discourse, parliamentary debates, recontextualization

How to Cite:

Müller, M., (2022) “„ICH WILL DAS HIER NICHT AUSFÜHRLICH ERLÄUTERN; DENN DAS IST VIEL ZU KOMPLIZIERT“. TERMINOLOGIEARBEIT UND TERMINOLOGISCHE ARBEITSVERWEIGERUNG IN PLENARDEBATTEN DES DEUTSCHEN BUNDESTAGS”, Korpora Deutsch als Fremdsprache 2(1), 95-122. doi: https://doi.org/10.48694/kordaf-62

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Published on
2022-08-04

Peer Reviewed

1. Einleitung

Der Aufsatz beschreibt den metasprachlichen Umgang mit Termini im Deutschen Bundestag. Als ‚Terminus‘ zählt dabei jedes Wort, das von den Sprecherinnen und Sprechern metasprachlich selbst als solcher konstituiert wird, z.B. durch explizite Kennzeichnung eines Wortes als Terminus oder Fachwort, durch Thematisierung einer Definition oder durch metasprachliche Attribuierung mit Adjektiven wie sogenannt. Es geht also um die sprachliche Praxis des Terminologisierens im Sinne Roelckes (2013: 2) in einem Umfeld, in dem Begriffsarbeit und Fachsprache zwar einerseits konstitutiv sind, anderseits aber die persuasive Grundfunktion politischer Sprache Verständlichkeit und Allgemeinsprachlichkeit voraussetzt.

Ich verfolge mit diesem Beitrag zwei Ziele: Erstens möchte ich den metasprachlichen Umgang mit Termini im Deutschen Bundestag dokumentieren, dabei aufzeigen, welche Rolle das Verweisen auf Termini in der parlamentarischen Debatte spielt und – wo möglich – Veränderungen über die Zeit beschreiben. Zweitens möchte ich diese Studie als Fallbeispiel für metasprachliche Praktiken rund um Termini außerhalb eindeutiger Fachdiskurse verstehen und demonstrieren, wie man Fachtermini erkennen kann, wenn sie rekontextualisiert sind: Ein Grundproblem beim Erwerb von Fachtermini ist es zu erkennen, was eigentlich ein Fachterminus ist (vgl. Kap. 2). Dabei sind nicht Fälle gemeint, in denen man eine Fachsprache anhand von Fachtexten lernt. Es geht im Folgenden vielmehr um den – viel häufigeren – Fall, dass man im öffentlichen Diskurs, in einem interdisziplinären Kontext oder im privaten Gespräch einem Wort begegnet, dessen Fachlichkeit einem nicht bewusst ist. Parlamentarische Debatten sind für solche hybriden Kontexte deswegen ein besonders gutes Beispiel, weil man dort erstens im Zuge von Gesetzgebungsverfahren ständig darauf angewiesen ist, über spezialisiertes Wissen aus vielen verschiedenen Tätigkeitsbereichen zu sprechen, zweitens selbst über eine Fachterminologie des politischen Diskurses verfügt und drittens auf Allgemeinverständlichkeit der Aussagen achten muss, weil der eigentliche Adressat der Parlamentsrede die Öffentlichkeit ist (vgl. Kap. 3). Im Sinne dieses zweiten Ziels verstehe ich die vorliegende Studie als eine Propädeutik der DaF-Didaktik. Es wird sich zeigen, dass Termini gerade im politischen Diskurs oft nicht formseitig von Ausdrücken der Alltagssprache unterscheidbar sind. Wir bekommen aber in vielen Fällen Hinweise darauf, dass Ausdrücke als Termini gemeint sind. Die hier vorliegende Studie arbeitet daher verschiedene Typen der Terminologiearbeit im Deutschen Bundestag als Heuristik für den DaF-Unterricht heraus.

Zum Erkennen von Termini hilft es zu wissen, was Termini eigentlich sind. Benötigt wird also eine Definition. Es ist aber nicht leicht, den Terminus Terminus zu definieren. Roelcke, der die synonyme Bezeichnung Fachwort verwendet, kritisiert die unscharfe und oft vortheoretische Verwendung des Wortes Fachwort in der Fachsprachenforschung und gibt dann selbst folgende Definition:

Ein Fachwort ist […] die kleinste bedeutungstragende und zugleich frei verwendbare sprachliche Einheit eines fachlichen Sprachsystems, die innerhalb der Kommunikation eines bestimmten menschlichen Tätigkeitsbereichs im Rahmen geäußerter Texte gebraucht wird. (Roelcke 2005: 51-52)

Das ist eine zielführende Bestimmung innerhalb der Fachsprachenforschung, es ist aber wohl nicht möglich, auf dieser Basis ein Fachwort von einem Wort, das kein Fachwort ist, zu unterscheiden. Man kann sich auch keine Definition von Fachwort bzw. Terminus vorstellen, die das leistet. Termini erkennt man nicht immer an der äußeren Form und es ist – im Unterschied zu Wörtern der Alltagssprache – oft nicht möglich, vom reinen Gebrauch der Wörter auf die Fachlichkeit ihrer Bedeutung zu schließen. Das liegt daran, dass mit Termini auf spezialisiertes Wissen verwiesen wird, das wiederum typischerweise in Definitionen ausgedrückt und kontrolliert wird. Sind Termini aber einmal definiert und ist eine Definition im Kreis der Benutzer*innen des Terminus allgemein akzeptiert, dann muss man die Definition nicht mehr nennen. Evtl. referenziert man sie – je nachdem, welche Regeln im jeweiligen spezialisierten Tätigkeitsbereich gelten. Oft verwendet man den Terminus aber auch einfach – im Vertrauen darauf, dass alle Akteure im Fachdiskurs dessen spezialisierte Bedeutung kennen. Eine Möglichkeit zu erkennen, dass ein Wort, das jemand gebraucht, ein Terminus ist (also als Terminus gemeint ist) ist es, genau zu beobachten, ob und wie die Sprecher*innen selbst metasprachlich markieren, dass sie ein Wort mit spezialisierter Bedeutung verwenden. Diese Tätigkeit ist ein Spezialfall dessen, was man Terminologiearbeit nennt (vgl. Kap. 2.3). Ich werde Fälle von Terminologiearbeit im Deutschen Bundestag analysieren und voneinander unterscheiden.

In Kap. 2 verorte ich meinen Beitrag zuerst im Forschungskontext der Terminologie- und Fachsprachenforschung und beschreibe die terminologischen Grundlagen meiner Studie. Kap. 3 beschreibt die diskursiven Bedingungen der trialogischen Kommunikation im Deutschen Bundestag. Danach beschreibe ich in Kap. 4 die Datenbasis meiner Studie, die aus den linguistisch aufbereiteten Plenarprotokollen des Deutschen Bundestags besteht, und erläutere das korpushermeneutische Verfahren mit dem ich Typen sprachlicher Praktiken der Terminologiearbeit gebildet und untersucht habe. Kap. 5 präsentiert die Ergebnisse meiner Studie. Ich unterscheide saliente von nicht-salienten Praktiken der Terminologiearbeit. Ich zeige auf, dass sowohl das Definieren als auch der metakommunikative Umgang mit Terminologie eng mit Praktiken der politischen Positionierung und des semantischen Kampfes in politischen Debatten verflochten ist. Schließlich gebe ich in Kap. 6 ein kurzes Resümee und diskutiere die Anwendbarkeit sowohl des Verfahrens als auch der Ergebnisse auf die DaF-Didaktik.

2. Was einen Terminus ausmacht

2.1 Terminologiearbeit und Terminologiedynamik

Unter einem Terminus verstehe ich im Folgenden ein Wort, das in institutionell markierten Kontexten verwendet wird, um spezialisiertes Wissen zu konstituieren, vermitteln, kontrollieren und zu tradieren (vgl. Müller / Behr / Steffek 2019; Müller / Mell 2020; Steffek / Müller / Behr 2021). Das ist ein Verständnis von Termini, das an die empirische Tradition der Terminologieforschung anschließt, die stark sprachpragmatisch geprägt ist. Diese ist noch verhältnismäßig jung. In Müller / Mell (2020: 194-199) geben wir einen fachhistorischen Abriss der Terminologieforschung, den ich hier verkürzt wiedergebe: Mit Einsetzen der industriellen Fertigung seriell hergestellter Objekte ergibt sich die Notwendigkeit der Standardisierung und Normierung zur funktionierenden Kommunikation in normierten und seriellen Arbeitsabläufen. Der daraus resultierende Bedarf an Regelungen für eine Normierung von Benennungen führt zur so genannten Terminologiearbeit. Diese geht von Begriffen aus, die sie als objektive, von der menschlichen Erkenntnisfähigkeit grundsätzlich unabhängige Sachverhalte ansieht. Terminologiearbeit zielt nach Wüster (1991: 1) „auf scharfe Abgrenzung zwischen den Begriffen“. Es geht darum, Wortverwendung so präzise zu regulieren, dass die Wörter die von ihnen unabhängigen Begriffe möglichst exakt abzubilden in der Lage sind. Dieses Semantik-Verständnis ist schwer mit empirisch-linguistischen Ansätzen zu vermitteln, führt aber zu funktionalen Normgebungsprozessen für Terminologie-Verwendung in den Handlungsfeldern Technik und Industrie.

Eine sprachgebrauchsorientierte Perspektive auf Terminologie hat zuerst Sager (1990) vorgeschlagen (vgl. Temmerman 2000: 23-25). Nach Sager ist zum Verständnis von Termini neben der kognitiven und linguistischen auch deren kommunikative Dimension zu beachten. Dementsprechend sind Termini als Wörter in Texten zu analysieren (vgl. Sager 1990: 46). Ausgehend davon hat sich eine empirische Terminologieforschung als dezidiert linguistische Forschungsrichtung entwickelt: In Studien zur Terminologie und zum Fachvokabular (vgl. Pearson 1998; Gledhill 2000; Temmerman 2000; Bertels 2014) sind seit Ende der 1990er Jahre Termini als Ausdrücke aufgefasst worden, die eine spezifische Verteilung und ein spezifisches Kotextprofil haben und in Texten vorkommen, deren Produktion sich dem Kontext eines bestimmten Fachdiskurses verdankt. Wissenschaftliche Termini werden dort nicht anders behandelt als Vokabulare der alltäglichen Sprachverwendung. Die Eigenschaften von Termini werden als Gebrauchseigenschaften formuliert und aufsteigend durch Kohortenanalyse des Auftretens eines Ausdrucks in einer bestimmten Wissens- und Handlungsgemeinschaft von Kommunizierenden (Community of Practice, vgl. Wenger 1998) eruiert. Damit kommt man zu Einschätzungen wie sie z.B. Budin (2007: 70) formuliert:

[…], terms are not necessarily fixed in their meanings. Their conceptual content may also depend on situations in which they are used. Conceptual development in a domain is driven by the dynamics of knowledge, which in turn is driven by the constant interaction of people who follow common goals in organizations. Language change is a function of conceptual change and in turn inspires further conceptual change.

Müller und Mell haben sich ebenfalls in diese Tradition gestellt und unter dem Label Terminologiedynamik „Wanderwege wissenschaftlicher Termini“ (Müller / Mell 2020: 198) beschrieben. In Steffek / Müller / Behr (2021) wird gezeigt, wie der Terminus Regime aus dem internationalen Seerecht über die juristische Fachsprache in diejenige der International Relations wandert, dort einen bestimmten theoretischen Blick auf internationale Beziehungen instruiert, eine Koexistenz mit dem alltagsprachlichen Gebrauch von Regime im Sinne von ›autoritäre Regierung‹ führt und schließlich immer mehr an Einfluss verliert. Methodisch werden dabei korpuslinguistische Messungen mit philologischen Textanalysen, einer begriffsgeschichtlichen Longue-durée-Studie und fachgeschichtlichen Recherchen zu sozialen Praktiken rund um die Begriffsverwendung kombiniert.

Bei solchen Forschungen kann man verschiedene Perspektiven einnehmen: Während es in der genannten Studie darum ging, seriellen Sprachgebrauch und besondere Terminologisierungspraktiken zum Zwecke einer Rekonstruktion der historischen Fachsemantik zu untersuchen, behandelt der vorliegende Beitrag nicht die Diskursbedeutung von Termini, sondern die Frage, wie sie in bestimmten Kontexten aufgerufen und in den Diskurs eingeführt werden. Den Terminus Terminologisierung im Sinne des Einführens terminologischer Systeme in die Linearität des Fachtextes hat Roelcke (2013) geprägt.

2.2 Eigenschaften von Termini

Im Unterschied zu diesen Ansätzen geht es mir im Folgenden darum, wie Politikerinnen und Politiker in der öffentlichen Arena des Deutschen Bundestags (vgl. Kap. 3) mit Wörtern umgehen, die sie für Termini halten. Dazu ist es wichtig, sich die Eigenschaften von Termini vor Augen zu führen. Wir haben eingangs festgestellt, dass Termini sich grundsätzlich nicht anders verhalten als andere Wörter auch, allerdings in spezifischen Kontexten verwendet und unter institutionell abgesicherten Bedingungen kontrolliert werden. Grundsätzlich ist der Sinn des Terminologiegebrauchs, eine Standardisierung und Kontrolle fachlichen Wissens sowie eine gemeinsame Verständigungs- und Handlungsbasis herbeizuführen. Wie das genau vonstattengeht, d.h. welche sprachlichen und institutionellen Praktiken sich rund um Termini formieren, das unterscheidet sich aber von Kontext zu Kontext. Entsprechend variieren auch die semantischen Eigenschaften von Termini. In der Terminologiearbeit wie auch in der linguistischen Fachsprachenforschung werden die Gütemerkmale ‚Klarheit‘, ‚Exaktheit‘, ‚Eindeutigkeit‘, ‚Genauigkeit‘, ‚Explizitheit‘, ‚Wohldefiniertheit‘ und ‚Kontextunabhängigkeit‘ (Fraas 1998: 429; vgl. Roelcke 2013: 1-18; Müller / Mell 2020: 197) genannt. Wichtig dabei ist zu bemerken, dass diese Zuschreibungen normativ gemeint sind: Ein Terminus soll so verwendet werden, dass man mit ihm klar, präzise, eindeutig und genau ein fachliches Konzept benennt. Um das zu ermöglichen, soll er mit einer festen Definition (‚wohldefiniert‘) verbunden werden, die es ermöglicht, den Terminus immer in derselben Weise (‚kontextunabhängig‘) zu verwenden. Das funktioniert vereinfacht gesagt umso besser, je stofflicher der Sachverhalt ist, auf den mit dem Terminus referiert wird und je weniger es für das Gelingen der mit dem Terminus verbundenen Operation auf den Begriffsinhalt ankommt. Der Terminus Drahtstift mit Senkkopf Form B, DIN EN 10230-1 bezeichnet genau eine Klasse von Nägeln, die genau hinsichtlich zweier Variablen unterspezifiziert ist: Durchmesser des Kopfes und Länge. Wer also einen Drahtstift mit Senkkopf Form B, DIN EN 10230-1 mit 2,0 mm Durchmesser und 40 mm Länge bestellt, hat eine klare, präzise, eindeutige, genaue, wohldefinierte und kontextunabhängige Bezeichnung verwendet. Der entsprechende Terminus wird in allen Kontexten in derselben Weise gebraucht – entsprechend gibt es auch eine falsche und eine richtige Weise, den Terminus zu anzuwenden. Der abstrakte akademische Terminus Regime dagegen ist im Fachdiskurs diverse Male definiert worden, teils in einander paraphrasierenden, teils in gegeneinander gerichteten Definitionen (vgl. Steffek / Müller / Behr 2021). Es hat also vielfache Anläufe der Bedeutungsfixierung (vgl. Felder 2006: 36-37) von Regime gegeben, von denen zwar eine Definition die bekannteste und meist zitierte1 ist, es aber keine geschafft hat, die Terminusverwendung abschließend zu regulieren. Im Endeffekt ist der Terminus Regime im politikwissenschaftlichen Diskurs also weder eindeutig noch wohldefiniert noch kontextunabhängig – dennoch hat er nicht nur eine theoretische Position befördert, sondern auch eine ganze Reihe bedeutender Erkenntnisse über die Systematik internationaler Kooperationen ermöglicht. Zwischen diesen Extrembeispielen gibt es nun eine ganze Bandbreite an sprachlichen Praktiken rund um Termini: In der Biologie z.B. sind Termini vergleichsweise reguliert, in vielen Fällen gibt die Definition aber nicht den eigentlichen Begriffsinhalt an, sondern verweist vielmehr auf Tätigkeiten, deren Praxis erforderlich ist, um den Terminus vollständig erfassen und korrekt verwenden zu können. Temmerman (2000) hat das am Beispiel des Terminus blotting in der Molekularbiologie gezeigt.

Für unseren Zusammenhang ist wichtig, dass Termini, wenn man sie empirisch und nicht normativ betrachtet, ganz unterschiedliche semantische Eigenschaften haben können – je nachdem in welchem Kontext sie geprägt wurden und tradiert werden.

2.3 Rekontextualisierung als Terminologiearbeit

Der Terminus Terminologiearbeit ist seinerseits normiert und mit einer Definition in einem technischen Vokabular abgelegt. DIN 2342 (2011: 14) definiert

Terminologiearbeit als die ‚auf der Terminologielehre aufbauende Planung, Erarbeitung, Bearbeitung oder Verarbeitung, Darstellung oder Verbreitung von Terminologie‘. Dabei wird festgestellt, dass auch die Extraktion von Terminologie aus Texten sowie die Einarbeitung von Terminologie in Texte zur Terminologiearbeit zu rechnen sind. (Drewer / Schmitz 2017: 23, Fettdruck im Originalzitat)

Meine Verwendung des Terminus Terminologiearbeit ist ein performativer Selbstkommentar: In unserem Kontext des Deutschen Bundestags geht es nicht um die systematische Erhebung und Pflege fachlich kontextualisierter Vokabulare, sondern darum, was Politikerinnen und Politiker tun, wenn sie fachliche Konzepte in den Diskurs einführen, von denen sie selbst denken, dass diese zumindest in der mitadressierten Medienöffenlichkeit (s. Kap. 3) nicht vorausgesetzt werden können2. Das fällt dem Wortlaut nach unter den Sachverhalt ‚Einarbeitung von Terminologie in Texte‘, ist also eine von DIN 2342 gedeckte Verwendung des Terminus. Dennoch handelt es sich um eine Rekontextualisierung, da die zu Plenardebatten beitragenden Politikerinnen und Politiker Fachwörter ja eben nicht linear im Kontext von Produktions- oder Verarbeitungsprozessen verwenden, sondern sie im Zuge der Diskussion gesellschaftlicher Konflikte und rechtlicher Regelungsbedarfe, die damit verbunden sind, in neue Zusammenhänge einführen. Es handelt sich also sowohl im vorliegenden Beitrag als auch bei den sprachlichen Praktiken im Bundestag um Rekontextualisierungen3 von Termini, die Arbeit am Begriff erfordern in dem Sinne, dass sie das mit dem Terminus verbundene Wissen genau in dem Maße zu explizieren haben, wie es der neue Kontext erfordert. Im Falle dieses Beitrags bedeutet das den akademischen Qualitätskriterien gemäß, dass die kanonische Ausgangsdefinition des Terminus zitiert wird und transparent gemacht wird, wie sich der eigene Terminusgebrauch zu dieser Definition verhält. Bezogen auf die Praktiken der terminologischen Integration im Deutschen Bundestag sind die Regeln weniger klar. Diese zu beschreiben ist Aufgabe des vorliegenden Beitrags. Wie oben ausgeführt werden im Deutschen Bundestag sowohl Termini verhandelt, die aus spezialisierten Tätigkeitsbereichen außerhalb der politischen Debatte stammen, aber für die parlamentarische Debatte von Bedeutung sind, als auch solche, die im politischen Diskurs selbst geprägt wurden. Erstere nenne ich im Folgenden diskursextrinsische Termini, zweitere heißen diskursintrinsische Termini. Unter einem diskursextrinsischen Terminus verstehe ich also in Anlehnung an Müller (2007: 152) einen Terminus, der außerhalb des parlamentarischen Diskurses in einem Fachdiskurs geprägt und zur Kontrolle fachlichen Wissens verwendet wird, in einem gegeben thematischen Kontext aber Eingang in den parlamentarischen Diskurs findet (z.B. Fracking). Ein diskursintrinsischer Terminus ist definiert als Terminus, der innerhalb des politischen Diskurses geprägt wurde und in einem gegebenen thematischen und situativen Kontext wieder aufgerufen wird (z.B. Willkommenskultur).

2.4 Praktiken der terminologischen Integration

Während es in der metaterminologischen und linguistischen Literatur zahlreiche Beschreibungen und Klassifikationen zu Definitionen gibt (Überblick in Schnedermann 2021: 79-120), ist der tatsächliche Umgang mit Termini in wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Texten noch weitgehend unerforscht. Grundsätzlich bestehen Definitionen aus einem zu definierenden Sachverhalt (Definiendum) und einem definierenden Konzept (Definiens), die durch eine Verbalkonstruktion (Definitor) zueinander ins Verhältnis gesetzt werden (vgl. Roelcke 2005: 55; Cramer 2011: 62; Schnedermann 2021: 119). Roelcke (2005: 54-61) gibt eine Synthese der Literatur zu Definitionen und stellt Typen von Definitionen zusammen. Im Hinblick auf den semiotischen Status des Definiendum unterscheidet er Nominaldefinitionen, welche sich auf die sprachliche Repräsentation eines Sachverhalts, also die Bedeutung des Terminus im Sinne eines sprachkonstruktivistischen Modells, beziehen, von Realdefinitionen, welche sich auf den Begriff des Sachverhalt im Sinne eines erkenntnisrealistischen Modells beziehen. Bezogen auf die Form von Definitionen unterscheidet er aristotelische Definitionen, deren Definiens zweiteilig ist, nämlich aus der nächsten Oberklasse (genus proximum) und dem unterscheidenden Merkmal (differentia specifica) besteht, von explikativen Definitionen, deren Definiens aus Merkmalsangaben besteht, und exemplarische Definitionen, bei denen das Definiens aus der Angabe charakteristischer Vertreter der zu definierenden Gattung besteht. Daneben nennt Roelcke (2005: 60) „genetische oder operationale Definitionen“ (Angabe des Verfahrens mit dem ein zu definierendes Produkt hergestellt wird), „induktive Definitionen“ (Angabe eines Basisinventars plus Kombinationsregeln), die „Synonymendefinition“ (Angabe bedeutungsgleicher Wörter) und „wortassoziative Definition“ (Angabe assoziativ mit dem Definiendum verbundener Wörter). In unserem Projekt Terminologische Integration in Fachkulturen (dokumentiert in Bender in Vorb.), das sich auf den Umgang mit Termini in akademischen Dissertationen unterschiedlicher Disziplinen bezieht, fassen wir diese Definitionstypen als Sonderfälle heuristischer Textpraktiken (vgl. Bender / Müller 2020), mit denen spezialisiertes Wissen in Texte eingeführt wird. Daneben finden sich Benennungen von Termini mit Existenzpräsupposition und metakommunikative Praktiken wie diskusreferentielle Verweise, Entfaltung der Gebrauchsgeschichte des Terminus oder Distanzmarkierungen durch Adjektive wie sogenannt. Insbesondere der letzte Typ findet sich auch im parlamentarischen Diskurs. (s. Kap. 5.2.2)

Schnedermann (2021) untersucht das Definieren im Burnout-Diskurs und beschreibt sowohl Alltagsdefinitionen, die formal schwer bestimmbar und insbesondere von allgemeinen Zuschreibungen an Sachverhalte (Das Wetter ist schön. Paris ist besonders im September eine Reise wert.) schwer abgrenzbar sind, als auch institutionell abgesicherte Definitionen, die „deklarative Kräfte entfalten können“ (Schnedermann 2021: 123). Ihre Erkenntnisse stellt sie in einen diskurstheoretischen Rahmen, der es ermöglicht, einerseits die Typik diskursiver Definitionspraktiken und andererseits den dahinter aufscheinenden Normalismusdiskurs herauszuarbeiten. Sie zeigt, wie definitorische Praktiken die Sachverhaltskonstitution im Text bündeln, auf Vordefinitionen verweisen und diese modifizieren, wie sich definitorische Praktiken aus medialen und institutionellen Bedingungen der kommunikativen Gattung, der Wirklichkeitsannahmen ihrer Autor*inn*en und aus ihrer Funktion im Rahmen textueller Entfaltungsstrategien formieren. Zum Definieren gibt Schnedermann (2021: 126) folgende Bestimmung:

Der kommunikative Zweck einer Definierens-Handlung besteht im strengen Sinn und insbesondere in Fachtexten darin, dass der Definierende das in Frage stehende Zeichen benennt (= Definiendum) und in eine Entsprechungs-, bzw. Äquivalenzbeziehung (= Definitor) zu anderen bereits bekannten Zeichen(ketten) stellt (= Definiens), wodurch er das Definiendum für sich selbst und etwaige Rezipienten hinreichend genau, wesentlich bzw. in seiner Typik erfassend und mit dem Anspruch der Adäquatheit und intersubjektiver/allgemein konsentierter Gültigkeit feststellt oder festsetzt, von anderen Sachverhalten/Begriffen/Termini differenziert und in bestehendes Wissen einordnet. (Schnedermann 2021: 126-127)

Aus dieser Definitionsdefinition wird deutlich, dass das Definieren, auch wenn es sich je nach Kontext durch eine mehr oder weniger große Musterhaftigkeit auszeichnet, nur diskurspragmatisch und damit kontextsensitiv gefasst werden kann. Ich habe sie hier eingeführt, damit man die Praktiken der parlamentarischen Terminologiearbeit dazu ins Verhältnis setzen und ihre Eigengesetzlichkeit besser begreifen kann.

3. Trialogische Kommunikation im Deutschen Bundestag

Parlamentarische Debatten bilden einen besonders interessanten Kontext für die Rekontextualisierung von Termini, weil man dort erstens im Zuge von Gesetzgebungsverfahren ständig darauf angewiesen ist, über spezialisiertes Wissen aus vielen verschiedenen Tätigkeitsbereichen zu sprechen, zweitens selbst über eine Fachterminologie des politischen Diskurses verfügt und drittens auf Allgemeinverständlichkeit der Aussagen achten muss, weil der eigentliche Adressat der Parlamentsrede die Öffentlichkeit ist. Es ist also für Parlamentsdebatten konstitutiv, dass die Debattenbeiträge doppelt adressiert sind, nämlich an einen inneren Adressatenkreis aus Parlamentsmitgliedern und an einen äußeren Adressenkreis aus Bürgerinnen und Bürgern (vgl. Stopfner 2017). Sieht man von den Zuhörenden vor Ort ab, erfährt die Öffentlichkeit von Redebeiträgen im Deutschen Bundestag vor allem aus den Medien und – da der Zuhörerkreis von Live-Übertragungen aus dem Deutschen Bundestag ein sehr kleiner ist – hier wieder vor allem aus kleinen Ausschnitten der Reden in den Hauptfernsehnachrichten, aus Tweets und Social-Media-Beiträgen von Handelnden aus Politik und Medien und aus der zusammenfassenden Berichterstattung der Printmedien mit wenigen Originalzitaten. Das führt dazu, dass die Beiträge auf Pointen, Zuspitzungen und auffällige Sprachbilder hin formuliert werden. Dieckmann (1981) hat für die systematische Doppeltadressierung der Rede in Plenardebatten den Terminus „trialogische Kommunikation“ geprägt. Niehr (2019: 8-19) stellt besonders eindrückliche Beispiele dafür aus dem parlamentarischen Sprachgebrauch der Neuen Rechten zusammen und ordnet sie ein. Einen Fachterminus, der langwierig erklärt werden muss, gilt es in der trialogischen Kommunikation zu vermeiden. Auf der anderen Seite bildet der politische Diskurs – verstanden als Gespräch zwischen den politischen Akteuren – selbst einen fachlichen Kontext, in dem z.B. implizites Prozesswissen über Gesetzgebungsverfahren, parlamentarische Formen und Routinen und demokratietheoretische Grundlagen vorausgesetzt werden. Außerdem werden Parlamentsdebatten in der Regel von Fachpolitikerinnen und -politikern in Ausschüssen vorbereitet und meist auch im Plenum vorgetragen. Die Debatten werden auf der Grundlage schriftlicher Beschlussvorlagen und abzustimmender Dokumente geführt. Das alles führt zu einer Routinisierung von Benennungen und dazu, dass Zentralbegriffe einer Debatte eine interne Terminologisierung erfahren, die aber ihren ganz eigenen Regeln folgt (vgl. Müller / Mell 2021: 4). Zu diesen Regeln gehört, dass politisches Vokabular möglichst sprechend sein soll und im öffentlichen Diskurs sofort verständlich sein muss, dass dieses Vokabular oft in bereichsspezifische formelhafte Wendungen integriert ist, die im Rahmen verschiedener kommunikativer Gattungen funktionieren und abrufbar sind und dass sie mit ihnen themenspezifisches Fachwissen ebenso wie politisches Prozesswissen kontextualisiert wird (vgl. Stein 2017). In Müller (2015: 288-290) habe ich das an Routinen des Typs Umgang mit gefährlichen Organismen / menschlichem Leben / biotechnologischen Verfahren gezeigt. Die Diskursfunktion dieser Konstruktion liegt in der kommunikativen Aufgabe von Politikerinnen und Politikern, die Komplexität von Sachverhalten in öffentlichen Kontexten nicht durch eine komplexe Syntax zu betonen, sondern sie in formelhaften Wendungen möglichst so zu repräsentieren, dass sie kommunikativ in möglichst vielen unterschiedlichen Situationen abrufbar sind. Das geschieht eben z.B. durch die Konstruktion Umgang mit ADJEKTIV NOMEN, die intern bis zu zwei Prädikationsakte und extern einen weiteren Prädikationsakt repräsentieren kann. Die Konstruktion kann sich im Diskurs als formelhaftes Bewältigungsmuster von Komplexität ausbilden, weil sich in der öffentlichen politischen Debatte Akteure, Situationen und Themen zu immer ähnlichen Konstellationen formieren.

In diesem hybriden Kontext aus Fachdiskurs und öffentlichem Diskurs ist es nun ganz besonders interessant und lehrreich zu untersuchen, wie die Akteure mit Termini aus spezifischen fachlichen Kontexten, z.B. der Wissenschaft oder der Technik, umgehen: Welches sind die Praktiken, mit denen als fachlich präsupponierte Konzepte in den parlamentarischen Diskurs eingeführt werden?

4. Daten und Methode: Korpushermeneutik

4.1 Korpus

Die Analyse basiert auf der vollständigen Sammlung aller offiziellen Protokolle der Plenardebatten des Deutschen Bundestages von 1949 bis 2021, die alle Legislaturperioden (LP) von 1 bis 19 abdeckt4. Die Daten werden vom Deutschen Bundestag zur Verfügung gestellt (https://www.bundestag.de/services/opendata) und wurden vom Discourse Lab für die digitale Linguistik aufbereitet (www.discourselab.de/cqpweb/). Das Korpus ist über das webbasierte Korpusanalysesystem CQPWeb (vgl. Hardie 2012) verfügbar und kann nach einmaliger Registrierung abgerufen werden. Die automatische Vorverarbeitung umfasst Tokenisierung, Satzsegmentierung, Lemmatisierung, Part-of-Speech-Tagging, die Annotation von Diskursrollen und Parteizugehörigkeit der Sprecher sowie die separate Markierung von Zwischenrufen.

4.2 Methode

Das vorliegende Korpus bietet also eine vollständige Datengrundlage für die hier zu bearbeitende Forschungsfrage, wie Fachtermini im Deutschen Bundestag in den Diskurs eingeführt werden. Allerdings ist es nicht leicht, Praktiken der Terminologiearbeit in den Daten zu finden. Dabei stellen sich zwei Aufgaben: Erstens ist es ein Hauptproblem der empirischen Terminologieforschung, die Extension des Terminus Terminus zu bestimmen, also festzulegen, was eigentlich in einem gegebenen Datensatz als Terminus zu behandeln ist und was nicht. Das liegt daran, dass insbesondere im akademischen Diskurs – wie wir gesehen haben – Termini sich nicht unbedingt durch die Wortform von anderen Wörtern unterscheiden, sondern ggf. mit Definitionen kontrollierte Spezialbedeutungen haben. In dem Moment, in dem das mit dem Terminus verbundene Fachwissen aber im Fachdiskurs als bekannt vorausgesetzt wird, wird der Terminus nicht mehr als Terminus markiert, sondern einfach verwendet. Zudem ist das Wissen in Fachdiskursen skalierbar, es gibt also eine Bandbreite zwischen Termini, die fachliches Spezialwissen transportieren und Wörtern der Allgemeinsprache. Dazwischen liegen z.B. Ausdrücke der sogenannten „alltäglichen Wissenschaftssprache“, z.B. im Folgenden, (vgl. Ehlich 1999) und des Diskurses einer Fakultät wie der Ingenieurswissenschaften, z.B. Mechatronik, oder der Physik, z.B. Masse. Dieses Bestimmbarkeits-Problem stellt sich in einem hybriden Kontext, wie ihn der Deutsche Bundestag darstellt (s. Kap. 3), in besonderem Maße, da der Grad an Fachlichkeit eines diskursextrinisischen Terminus nicht durch den institutionellen Kontext bestimmt werden kann und kontrollierende Definitionen in aller Regel nicht aufgerufen werden. Eine erste Prämisse der Operationalisierung lautet deshalb, dass als Terminus nur gelten soll, was als solcher von den Akteuren auch markiert wird. Wenn man diese Prämisse allerdings zu eng auslegt und etwas nur die Ausdrücke berücksichtigt, die als Terminus oder Fachwort bezeichnet werden, dann wird man wohl nicht die Mehrzahl an Praktiken der terminologischen Integration beschreiben können, die an weniger explizite Formen der metasprachlichen Markierung von Fachlichkeit gebunden sind. Von Interesse sind hier alle diejenigen Ausdrücke, von denen die Sprecherinnen und Sprecher annehmen, dass sie Wissen aufrufen, das im (doppelten) Adressatenkreis nicht allgemein vorausgesetzt werden kann.

In dieser Studie bin ich folgendermaßen vorgegangen: Erstens habe ich eine Systematik von Praktiken der terminologischen Integration erarbeitet (1) und zweitens habe ich – in Fällen, in denen dies möglich und sinnvoll war –, nach lexiko-grammatischen Markern für diese Praktiken gesucht und deren Auftreten im Zeitverlauf gemessen (2).

Zu 1): Um zu einer Systematik sprachlicher Praktiken der terminologischen Integration zu gelangen, habe ich ein korpushermeneutisches Verfahren angewendet: Mein erster Ansatz war dabei, die Keywords eines Subkorpus aus allen Beiträgen zum Deutschen Bundestag, die Komposita und Phrasen mit *energie* (‚Strom‘) enthalten, auf metasprachliche Terminologie-Marker zu analysieren. Damit habe ich die Idee verbunden, dass sich mit diesem Suchausdruck ein thematischer Kontext mit mutmaßlich hoher Terminologie-Dichte finden lässt, in dessen signifikantem Vokabular sich Hinweise auf metasprachliche Terminologiemarker ergeben. Diese These musste allerdings verworfen werden: Es hat sich herausgestellt, dass die Keyword-Liste zwar eine Reihe von Wörtern enthält, die ich als dem parlamentarischen Diskurs extrinsische Termini eingeschätzt habe. Im signifikanten Vokabular haben sich aber keine entsprechenden Marker gefunden. Daher habe ich aus der Keyword-Liste Terminus-Kandidaten extrahiert und deren engeren Kotexte nach Hinweisen für terminologische Integration durchsucht5. Zu den auf diese Weise identifizierten Termini habe ich Kollokationsanalysen durchgeführt6. Auf diese Weise habe ich Belege eruiert, die ich nach Praktiken der terminologischen Integration klassifiziert habe. Bei der Kategorisierung habe ich auf Vorarbeiten des erwähnten Projekts Terminologische Integration in Fachkulturen (dokumentiert in Bender in Vorb.) zurückgegriffen und die dort für Dissertationen aus verschiedenen Disziplinen erhobenen textpragmatischen Kategorien an die Befunde aus dem Plenardebattenkorpus angepasst. In den Kollokationslisten haben sich zudem weitere Termini gefunden, deren Kollokationsfelder wiederum durchsucht wurden, um weitere Belege zu erheben. Dieses iterative Verfahren habe ich solange durchgeführt, bis eine Kategorien-Sättigung im Sinne der Grounded Theory (vgl. Glaser / Strauss 2010) erreicht war, bis sich also keine Belege mehr gefunden haben, die sich keiner bereits aufgemachten textpragmatischen Kategorie zugeordnet werden konnten. Ich habe also mit den gut eingeführten Methoden der Korpuslinguistik das Instrumentarium der schließenden Statistik verwendet, um qualitative Kategorien zu bilden. Dabei handelt es sich um die in Kap. 5 beschriebenen Kategorien von Praktiken der terminologischen Integration. Auf diese Weise bin ich auf Belege gestoßen, die neben dem ursprünglich aufgesuchten thematischen Kontext ‚Energie‘ vielfältige Wissensdomänen wie Arbeitsrecht, Außen-, Identitäts- oder Sozialpolitik thematisieren.

Zu 2): Eine vollständige Quantifizierung dieser Kategorien ist an dieser Stelle nicht möglich, da die Varianz einerseits im Vollzug der beobachteten Praktiken und andererseits im Gebrauch der Wörter, mit denen sie vollzogen werden, sehr groß ist7. Um aber dennoch abschätzen zu können, welche Rolle die einzelnen Praktiken im parlamentarischen Diskurs spielen, habe ich – wo sinnvoll und möglich – die lexiko-grammatischen Indikatoren (z.B. Fachwort, verstehen unter) und deren Auftreten im Zeitverlauf gemessen. Nach der Messung der relativen Frequenzen dieser Ausdrücke habe ich eine Peaks-and-Troughs-Analyse angewendet, wie sie von Gabrielatos et al. (2012) vorgeschlagen wurde (vgl. Brezina 2018: 241-245). Dabei handelt es sich um eine statistische Methode zur Ermittlung von Ausreißern in der Häufigkeitsentwicklung eines sprachlichen Items (in unserem Fall die lexiko-grammatischen Indikatoren für Terminologiearbeit), die signifikant über oder unter dem Trend in einem Datensatz liegen. Diese Ausreißer werden als „Peaks“ bzw. „Troughs“ bezeichnet (Gabrielatos et al. 2012: 152). Die relativen Häufigkeiten aller Vorkommen unserer Suchausdrücke wurden für jedes Jahr von 1949 bis 2021 ermittelt. Dann wurde ein nichtlineares Regressionsmodell angepasst (das in der Grafik als Kurve dargestellt ist) und 95%- und 99%-Konfidenzintervalle berechnet. Die Berechnungen und die Visualisierung wurden in R durchgeführt (vgl. Brezina 2018; http://corpora.lancs.ac.uk/stats). Wichtig ist festzuhalten, dass es sich hierbei um eine schwache Operationalisierung handelt: Ich messe Indikatoren für die Praktiken und nehme dabei in Kauf, dass die einzelnen Ergebnisse mehr oder weniger dem Prototypen gleichen.

5. Ergebnisse: Praktiken der terminologischen Integration

In diesem Kapitel stelle ich Praktiken der Integration von Termini in den parlamentarischen Diskurs vor. Die Verfahren zum Auffinden der Belege und zur Kategorisierung habe ich oben in Kap. 4.2 beschrieben. In einigen Fällen habe ich eine diachrone Messung zur Verteilung über die Zeit vorgenommen. Ich unterscheide zwischen salienter (Kap. 5.1) und nicht-salienter Terminologiearbeit (Kap. 5.2). Unter salienter Terminologiearbeit verstehe ich sprachliche Praktiken, mit denen ein Ausdruck explizit als Terminus markiert wird8. Nicht-saliente Terminologiearbeit findet statt, wenn Sprecher*innen die Semantik eines Ausdrucks als spezifikationsbedürftig markieren, ohne diesen als Terminus auszuweisen.

5.1 Saliente Terminologiearbeit

5.1.1 Explizite Integratoren

Eine naheliegende Weise mit einem Terminus im Diskurs umzugehen, ist, ihn ausdrücklich als Terminus oder Fachwort zu bezeichnen. Diese Ausdrücke möchte ich explizite Integratoren nennen, weil mit ihnen ein neu einzuführendes Wort ausdrücklich metasprachlich als Terminus markiert und so in den Diskurs integriert wird. Die diese Praxis dokumentierende Belege (1, 2) zeigen, dass mit der expliziten Integration von Termini keine Definition einhergehen muss (und in der Regel auch nicht einher geht), sondern dass damit lediglich ein Ausdruck als ‚wohlbestimmt‘ markiert wird. In Beleg (1) geht es um Terminologiearbeit im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens. In Beleg (2) wird hier die nicht weiter explizierte Fachsemantik dadurch betont, dass der Sprecher mit einem diskursreferentiellen Verweis9 auf einen anderen Situationstyp („Fraktionsanhörung“) verweist, für den die Integration fachlichen Wissens konstitutiv ist und den Terminus auch auf eine entsprechend als Fachvertreterin benannte Person zurückführt.

  • (1)   Nach Ansicht meiner Fraktionsfreunde ist es unbedingt notwendig, daß wir diese Worte „Eisen und Stahl erzeugende Industrie“ erläutern, daß wir also in das Gesetz unter dem Buchstaben b eine Definition darüber aufnehmen, was Eisen und Stahl erzeugende Industrie bedeutet. Wir haben den Begriff definiert und beantragen, unter Buchstabe b folgende Formulierung aufzunehmen: Zu den Unternehmen der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie im Sinne dieses Gesetzes gehören alle Unternehmen, die Eisen und Stahl erzeugen oder insbesondere warm verarbeiten, einschließlich aller Betriebsabteilungen. Dr. Harald Koch, SPD, 04.04.195110

  • (2)   Bei einer Fraktionsanhörung am Montag hat uns die Vertreterin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft erklärt, dass der Begriff „Grundlast“ aus dem deutschen Energieversorgungssystem verschwinden wird. Michael Kauch, FDP, 11/02/2011

Um abschätzen zu können, welche Rolle die explizite Terminologisierung im Deutschen Bundestag spielt, habe ich zuerst das Wortfeld der expliziten Integratoren ermittelt. Dazu habe ich die terminologiewissenschaftliche Fachliteratur (s. Kap. 2) ausgewertet und Probeanalysen im Korpus durchgeführt. In der Folge habe ich folgende Lemmata angesetzt, die ich als Synonyme bzw. partielle Synonyme für Fachwort ermitteln konnte: Terminus, Terminologie, Fachausdruck, Fachwort und Begriff sowie die Lemmata der Komposita mit dem Grundwort Begriff (außer Kampfbegriff)11. Die sich ergebenden Daten sind in zweierlei Hinsicht aufschlussreich: Erstens sieht man deutlich, dass die Streuung des Gebrauchs der expliziten Integratoren stark abnimmt. Während deren Verwendung bis in die 1970er Jahre stark schwankt, findet man ab 1980 nur noch wenige statistisch signifikante Ausreißer. Der Gebrauch der expliziten Integratoren pendelt sich also ein. Zweitens zeigt der Trend nach unten, die Frequenzen der Ausdrücke im Wortfeld Terminus nehmen also insgesamt ab.

Abbildung 1
Abbildung 1

Peaks and Troughs-Analyse des Wortfeldes um Terminus in den Plenarprotokollen des Deutschen Bundestags 1949–2021, Frequenzen pro 1 Mio. Wörter

Daraus kann man den folgenden ersten Schluss ziehen: Es scheint so zu sein, dass das Ausstellen eines Wortes als Terminus an Bedeutung verloren hat. Unwahrscheinlich ist es allerdings, dass diskursextrinsische Termini mit der Zeit im Deutschen Bundestag seltener verwendet werden. Dagegen spricht z.B. die an anderer Stelle gewonnene Evidenz, dass technologische Kontexte im Bundestag an Bedeutung gewinnen12. Der Wandel muss also mit veränderten – oder besser: verfestigten – Formulierungsgewohnheiten rund um als Termini präsupponierte Ausdrücke zu tun haben. Dafür spricht auch die Abnahme der Streuung der Frequenzen.

Der erste hohe Peak aus dem Jahr 1957 hat mit Debatten im Arbeitsrecht im Zuge der in jenem Jahr beschlossenen Rentenreform zu tun, in denen Ausdrücke wie Berufsunfähigkeit, Erwerbstätigkeit, Erkrankung, Gesundheit, Geschwisterrente, Produktivitätsrente, Arbeitnehmer als Begriff, Terminus usw. bezeichnet und damit metasprachlich markiert werden. Daran erkennt man die Bedeutung der Sozialpolitik in der zweiten Legislaturperiode13, man erkennt aber auch die mit akademischem Duktus betriebene Arbeit am Begriff, welche von den Abgeordneten betrieben wurde. Interessanterweise stammen über 95% der Belege für explizite Integratoren (360 von 373) aus dem ersten Halbjahr 1957 – dem letzten vor der Bundestagswahl 1957, die im September stattfand. Im neu gewählten vierten deutschen Bundestag werden die Begriffswörter dann signifikant seltener verwendet. 1958 sind – relativ zum Gesamtaufkommen der Wörter – nur noch gut halb so viele explizite Integratoren belegt.

Der zweite und höchste Peak der Kurve repräsentiert die Verhältnisse im Jahr 1973. Es regiert die sozial-liberale Koalition mit Bundeskanzler Willy Brandt, die im November 1972 im Amt bestätigt wurde. Die SPD stellt erstmals die größte Fraktion im Deutschen Bundestag. Themen sind – neben der ersten Ölkrise – die Entspannungspolitik gegenüber den Ostblockstaaten und die Aufnahme Deutschlands in die Vereinten Nationen. Der größte messbare Block an Thematisierungen beschäftigt sich mit dem Terminus Nation. An den Belegen (3) und (4) kann man erkennen, wie die Begriffsarbeit unmittelbar in die Argumentation der parlamentarischen Debatte eingeflochten ist.

  • (3)   Die Aufgabe der präzisen Konturen in der Deutschlandpolitik und die Einführung schwer definierbarer Begriffe wie „Kulturnation“ machen diese Politik vielleicht für viele akzeptabler, weil sie nicht mit dem randschärferen und präziseren Begriff der politischen Nation konfrontiert werden. Dr. Manfred Abelein, CDU/CSU, 15.02.1973

Daneben findet sich 1973 aber eine breite Palette an Ausdrücken und Themen, die mit expliziten Integratoren kontextualisiert sind, ohne dass daraus ein thematisches oder sprachliches Muster ableitbar ist. Zum Beispiel werden mit expliziten Integratoren Lebensqualität, Unzucht, Wahrheit, überragende Marktstellung und Souveränität als Termini markiert und in den Diskurs eingeführt.

Wenn man sich die Ausdrücke ansieht, die mit einem expliziten Integrator thematisiert werden, fällt auf, dass viele ausdrucksseitig nicht als Terminus, also als Wort mit einer spezialisierten Bedeutung, erkennbar sind. Die Integratoren dienen offensichtlich dazu, die Fachlichkeit der Ausdrücke herauszuheben. Wir sehen dabei, dass Konstruktionen mit Ausdrücken des Wortfelds Terminus in der Regel dazu dienen, Fachsemantiken einzuführen, ohne sie zu explizieren. Damit nehmen die sprachlich Handelnden im hybriden Kontext des Parlaments in Kauf, dass die indizierte Semantik eben doch vage bleibt.

5.1.2 Explizit Definieren

Natürlich gibt es auch Terminologiearbeit, die auf der Explikation von Fachsemantiken beruht. In seiner ausdrücklichsten Form gehören dazu Praktiken, die mit dem Verb definieren oder dem Substantiv Definition operieren. Der SPD-Politiker Heinz Kreutzmann gibt in seiner Replik auf den in Beleg (3) dokumentierten Beitrag von Manfred Abelein (CDU) ein Beispiel. Abelein hatte die Ausdrücke Kulturnation und politische Nation explizit als Begriffe eingeführt, sie aber inhaltlich nur insofern bestimmt, als er sagte, dass der eine, Kulturnation, schwer zu bestimmen sei. Kreutzmann greift nun die Terminologiearbeit auf und thematisiert die jeweiligen Fachsemantiken, indem er Abelein seinerseits vorwirft, den Begriff politische Nation nicht definiert zu haben. Im Anschluss gibt er eine narrativ gehaltene explikative Definition des Terminus Kulturnation:

  • (4)   Ich meine, dazu gehört auch die Frage nach dem Begriff „Nation“. Herr Abelein hat heute der Bundesregierung vorgeworfen, sie habe die staatliche Einheit Deutschlands preisgegeben und flüchte sich in den unverbindlichen Begriff der Kulturnation, statt die Einheit der politischen Nation zu wahren. Ich habe vermißt, daß Herr Abelein den Begriff der politischen Nation definiert hätte. Sein historisches Beispiel jedenfalls hinkt nach. Ohne die Existenz einer deutschen Kulturnation nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wäre es wohl niemals zu der Gründung eines deutschen Einheitsstaates unter Bismarck gekommen. Diese Kulturnation hat das die Kleinstaaterei überwölbende Dach gebildet und deren Überwindung ermöglicht. Aber der Begriff der Nation ist ja bis zum heutigen Tage noch niemals definiert worden. So, wie Sie ihn heute interpretiert haben, kommt er nach meinem Gefühl jedenfalls eher den Vorstellungen Treitschkes nahe als denen irgendeines anderen Historikers. Dr. Heinz Kreutzmann, SPD, 15.02.1973

Es handelt sich hier also um einen semantischen Kampf (vgl. Felder 2010; Klein 2016), der mit Mitteln der Terminologiearbeit ausgetragen wird. Dabei geht es aber nicht darum, ein möglichst präzises begriffliches Instrumentarium im Rahmen eines Arbeits- oder Wissensbildungsprozesses zu entwickeln, sondern es geht um eine trialogische Positionierung in der Debatte um die deutsche Einheit und das Verhältnis zur DDR. Dass das Definieren hier vor allem dazu dient, inhaltliche Positionen für die politische Öffentlichkeit möglichst markant gegeneinander abzugrenzen, sieht man daran, dass Kreutzmann Abeleins Umgang mit dem Begriff Nation nicht nur Unschärfe und Subjektivität unterstellt (wie sie ihn interpretiert haben), sondern auch mit dem Gedankengut des Antisemiten Heinrich von Treitschke in Verbindung bringt.

Betrachten wir ein weiteres Beispiel (5). Hier geht es um den Armutsbegriff. Wieder werden Kämpfe um Fachsemantiken ausgetragen, um eine politische Position zu stützen – hier in der Sozialpolitik. Dieser Vorwurf einer mangelnden Explikation der Fachsemantik eines Ausdrucks wird als Angriff auf das damit verbundene politische Programm vorgetragen:

  • (5)   Sie haben das Wort Armut auch heute immer wieder im Munde geführt, aber Sie haben es nicht richtig definiert. Wenn Sie Armut mit Sozialhilfebezug gleichsetzen, dann schauen Sie sich bitte bei den europäischen Nachbarn um. Eine Familie mit zwei Kindern in den alten Bundesländern erhält 2 900 DM Sozialhilfe. Ich hätte Ihnen gerne die Frage gestellt, ob Sie diesen Betrag kennen und ob Sie das mit Armut gleichsetzen. Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion tun dies nicht. Hannelore Rönsch, CDU/CSU, 30.09.1999

In Beleg (6) geht es um den Terminus Familie. Hier wird die Verbindung von Fachsemantik und politischer Position explizit gemacht. Die Sprecherin diskreditiert die Definition, indem sie diese als Hinweis auf eine Ideologie, gemeint als Stigmawort im Sinne von ‚realitätsvergessene totalitäre Ideenlehre‘ deutet:

  • (6)   Ich denke an die familienpolitischen Beschlüsse von Hamburg, in denen Sie nicht mehr in der Lage waren, die Familie so zu definieren, wie wir das in Deutschland tun, nämlich die Familie als Einheit von Vater, Mutter und Kindern zu zeigen. Sie haben da eine Definition gefunden, die von Ihrer Ideologie zeugt, eine Definition, die sagt, eine Familie bestehe aus einem oder mehreren Erwachsenen mit einem oder mehreren Kindern. Claudia Schlottmann, CDU/CSU, 13.09.1985

Während die expliziten Integratoren über die Zeit immer seltener werden, ergibt sich bei den expliziten Definitionen ein entgegengesetztes Bild: Wir sehen eine eindeutige Zunahme der Ausdrücke (Abb. 2). Der absolute Peak liegt dabei im Jahr 2019.

Abbildung 2
Abbildung 2

Peaks and Troughs-Analyse der Lemmata Definition (inklusive Komposita wie Begriffsdefinition, WHO-Definition) und definieren in den Plenarprotokollen des Deutschen Bundestags 1949-2021, Frequenzen pro 1 Mio. Wörter

Interessanterweise hängen die hohen Frequenzen im Jahr 2019 mit der 2017 erstmals in den Deutschen Bundestag eingezogenen AfD zusammen, die in der 19. Wahlperiode fast doppelt so häufig mit der Wortfamilie definieren operiert wie alle anderen Parteien (Abb. 3).

Abbildung 3
Abbildung 3

Verteilung der Lemmata Definition (inklusive Komposita wie Begriffsdefinition, WHO-Definition) und definieren in den Plenarprotokollen des Deutschen Bundestags, 19. Wahlperiode (2017-2021), auf Parteien, Frequenzen pro 1 Mio. Wörter

Das Verweisen auf und Einfordern von Definitionen scheint von den Mitgliedern der AfD-Fraktion eingesetzt zu werden, um ihre politischen Positionen mit der Autorität anerkannter terminologischer Systeme zu stützen. Die Sprecher*innen antizipieren offensichtlich, dass ihre Beiträge von den anderen Fraktionen und den meistens politischen Beobachter*innen als heteronorm, außerhalb des demokratischen Konsens stehend, eingeordnet werden und versuchen auf diese Weise, sich im Gegensatz dazu als Hüter*innen der eigentlich geltenden, weil kodifizierten Normen zu positionieren. Die folgenden Belege (7 und 8) bieten zwei Beispiele für diese Strategie:

  • (7)   Nach Artikel 1 der UN-Antifolterkonvention von 1984 bezeichnet der Begriff „Folter“ „jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden“. Es ist also ein relativ weiter Folterbegriff. Wichtig ist, dass Folter nur von Vertretern des Staates oder mit deren Einverständnis ausgeübt wird. Keine Folter hingegen sind „Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben“, also durch Vertreter des Staates in legaler Amtsausübung. Folter im Sinne dieser Definition ist in Deutschland seit 1989 klassisch nicht mehr vorhanden. Jürgen Braun, AfD, 13.12.2019

  • (8)   Wenn Sie die Legaldefinition von Steuern nicht kennen, will ich Ihnen gerne Nachhilfe geben. Kay Gottschalk, AfD, 16.03.2018

Insgesamt beobachten wir also eine Zunahme der expliziten Definitionspraktiken. Da sich gezeigt hat, dass mit diesen oft semantische Kämpfe im Rahmen der politischen Auseinandersetzung um ein Thema ausgetragen werden, können wir annehmen, dass sich die politische Debatte zunehmend auch auf der begrifflichen Ebene abspielt. Das gilt allerdings ausschließlich für diese Form der salienten Terminologiearbeit.

5.1.3 Positionale Terminologiearbeit

Praktiken der positionalen Terminologiearbeit sind solche, mit denen Bedeutungsexplikationen ausdrücklich aus der Perspektive einer Person, Gruppe, Partei oder Fraktion gegeben oder von anderen eingefordert werden. Dazu stehen eine Reihe von Konstruktionen des Typs NP[Definierer] versteht NP[Definiendum] unter NP[Definiens] zur Verfügung. Entsprechende Praktiken bezeichne ich als saliente Terminologiearbeit, weil sie Formulierungen aufgreifen, die aus der Fachkommunikation geläufig sind und mit denen man in fachlichen und akademischen Kontexten üblicherweise Termini definiert (vgl. Bender in Vorb.). Die Belege (9) und (10) geben gute Beispiele für dasjenige, was die Parlamentarier*innen tun, wenn sie diese Konstruktion verwenden. Während die expliziten Integratoren typischerweise diskursextrinsische Termini als solche ausweisen und mit expliziten Definitionspraktiken (ich definiere x als y) oft Themenwörter der politischen Debatte semantisch fixiert werden sollen, zielt die positionale Terminologiearbeit tendenziell auf diskursintrinsisches Vokabular, also die Arbeitsbegriffe des politischen Diskurses. In den aufgeführten Beispielen sind das die Fahnenwörter Sozialismus, liberal und Willkommenskultur. Während also mit den expliziten Definitionspraktiken Politik gemacht wird, so wird sie mit Praktiken der positionalen Terminologiearbeit gerahmt:

  • (9)   Ich möchte den Kollegen, die hier einige Bemerkungen im Hinblick auf Wandlungen von Vorstellungen der Sozialdemokratie gemacht haben, raten […], sich erstens einmal das Aktionsprogramm der Sozialdemokratischen Partei von 1952 und 1954 anzuschauen, zweitens sich die Beschlüsse des Parteitages von 1958 in Stuttgart anzusehen und drittens die Beschlüsse des außerordentlichen Parteitages 1959 in Bad Godesberg — Ergebnis: Godesberger Programm — durchzulesen. Dann wissen Sie sehr genau, was die deutsche Sozialdemokratie unter Sozialismus versteht. Das ist genau nicht das, was Sie uns in der Regel unterstellen, nämlich zentralwirtschaftliche Verwaltungstendenzen. Erwin Lange, SPD, 13.06.1962

  • (10)   Ihre Auffassung wird sicher – wenn Sie Ihre Kollegen kennen – nicht einmal von allen Kollegen Ihrer Partei geteilt; denn unter „liberal“ verstehen – soweit ich Ihre Kollegen von der CDU verstanden habe – nicht so viele „laisser-faire, laisser-aller“, wie Sie es gerne sähen. Walter Faller, SPD, 10.06.1964

Betrachtet man die Verteilung über die Zeit14 in Abb. 4, bietet sich ein ganz ähnliches Bild wie oben in Abb. 1: Bis 1970 streuen die Ergebnisse stark, die Konstruktion scheint situativ – je nach zu bearbeitenden Themen – mehr oder weniger häufig verwendet zu werden und keine Indikatorfunktion für den parlamentarischen Diskurs zu haben. Die starke Streuung hängt auch mit den geringen absoluten Frequenzen der Konstruktion zusammen: Im Jahr 1970, dem Jahr mit der höchsten Frequenz der Konstruktion, finden sich 78 Belege, für das Jahr 2017 sind es 25.

Abbildung 4
Abbildung 4

Peaks and Troughs-Analyse der Konstruktion unter NN[Terminus] versteht NN[cogniser] in den Plenarprotokollen des Deutschen Bundestags 1949–2021, Frequenzen pro 1 Mio. Wörter

Der Peak im Jahr 1970 scheint mit der noch jungen sozialliberalen Regierung zu tun zu haben: Willy Brandt wurde im Oktober 1969 nach 20jähriger CDU-geführter Regierung zum Kanzler gewählt. 73% der Belege für positionale Terminologiearbeit aus dem Jahr 1970 finden sich in der ersten Jahreshälfte. Die Belege können so gedeutet werden, dass die positionale Terminologiearbeit mit Strategien der Legimitierung bzw. Delegitimierung des Regierungsprogramms zu tun hat. Von der oppositionellen CDU/CSU-Fraktion wird positionale Terminologiearbeit meist eingefordert (vgl. Beleg 7), während von sie von der SPD geleistet wird (Beleg 8). Die Polarisierung wird besonders deutlich dadurch, dass von den 78 Belegen nur drei 3 von Sprechern der mitregierenden FDP stammen. Kontroverse Debatten um Regierungsprogramme sind im Parlament alltäglich und konstitutiv, es scheint aber eine Besonderheit dieser Phase zu sein, dass die Debatte erstens auf die begriffliche Ebene gelenkt wird und zweitens auf Termini, die im politischen Reformdiskurs umgedeutet und neu geprägt wurden. Sinnbildlich für diesen semantischen Politik-Ansatz steht die berühmte Passage aus Brandts erster Regierungserklärung:

  • (11)   Unser Volk braucht wie jedes andere seine innere Ordnung. In den 70er Jahren werden wir aber in diesem Lande nur so viel Ordnung haben, wie wir an Mitverantwortung ermutigen. Solche demokratische Ordnung braucht außerordentliche Geduld im Zuhören und außerordentliche Anstrengung, sich gegenseitig zu verstehen. Wir wollen mehr Demokratie wagen. Wir werden unsere Arbeitsweise öffnen und dem kritischen Bedürfnis nach Information Genüge tun. Willy Brandt, Bundeskanzler, SPD, 28.10.1969

Diese Art der Weiterentwicklung politischer Grundbegriffe im Gebrauch wird von der konservativen Opposition kritisch begleitet und hinterfragt. Hier kommt nun die positionale Terminologiearbeit zum Tragen:

  • (12)   Was verstehen Sie unter „historisch-politischer Perspektive der Deutschlandfrage“? Sie sagen, es sei notwendig, eine solche Perspektive zu haben. Man liest dann die folgenden Seiten mit Ungeduld und wartet darauf, daß eine Antwort gegeben wird. Es kommt keine Antwort. Franz Josef Strauß, CDU/CSU, 15.01.1970

Die regierende SPD ist also unter Zugzwang, die von ihr semantisch weiterentwickelten Termini zu erklären und rechtfertigen, und zwar nicht nur der innerparlamentarischen, sondern auch gegenüber der außerparlamentarischen Opposition, der sie einerseits den Diskurswandel verdankt, die sie in die Regierung gebracht hat, von deren heteronormativen Auswüchsen sie sich andererseits distanzieren muss:

  • (13)   Demokratisierung wird von denen, die sie heute gern für sich pachten, von den progressiven Reformen an den Universitäten bis hin zu den Revolutionären, gelegentlich so mißverstanden, als ob Demokratisierung eine Mischung von Anarchie und Utopie sein könnte. Das kann sie nicht sein. Aber wenn wir diese Verfälschung des Inhalts von Demokratisierung verhindern wollen, dürfen wir nicht mit Zynismus oder mit Achselzucken auf diese Fehldeutung einer Demokratisierung reagieren, sondern wir müssen darauf mit einer präzisen Definition dessen reagieren, was wir selber unter Demokratisierung verstehen. Dr. Ulrich Lohmar, 21.01.1970

Interessanterweise wird die Konstruktion auch 12 Jahre später, nach dem erfolgreichen Misstrauensvotum gegen Kanzler Helmut Schmidt, am 1. Oktober 1982, die Helmut Kohl zum Kanzler machte, aufgegriffen. Kohl trat damals mit dem Leitbegriff der „geistig-moralischen Wende“ an, der seinerseits von der nun oppositionellen SPD positional hinterfragt wird:

  • (14)   Soll das die Kehrseite hinter der Schauseite der geistig-moralischen Erneuerung sein? Das Staats- und Freiheitsverständnis der Konservativen ist schon immer ein bißchen eigen gewesen. So ganz harmlos ist es auch nicht, wenn unter geistig-moralischer Erneuerung schlicht verstanden wird, wir sollten die Probleme der 80er Jahre einfach so lösen, wie wir die der 50er Jahre gelöst haben. Heinz Rapp, SPD, 14.12.1982

Ab den 1970er Jahren aber lässt der Gebrauch insgesamt deutlich nach. Das kann so gedeutet werden, als dass das Ringen um Leit- und Erklärungsbegriffe stufenweise an Bedeutung verliert: Nach einer Konsolidierungsphase zwischen 1984 und 2014 zeigt die Kurve noch einmal nach unten. Einen Ausreißer nach oben bildet das Jahr 2015, in dem viel und grundsätzlich über Migration diskutiert wurde (Beleg 15). Auch hier geht es wieder um einen Rahmungsbegriff:

  • (15)   Vieles von dem, was Sie unter dem Begriff „Willkommenskultur“ verstehen, dass man zum Beispiel nicht nur auf den Fluren herumsitzt und schlecht behandelt wird, ist eine kommunale Angelegenheit. Wolfgang Gehrcke, Die Linke, 15.01.2014

Dass die Phase, in der Formulierungen mit verstehen unter immer seltener werden, in die späte Phase der Kanzlerschaft Angela Merkels fällt, mag Zufall sein. Es passt aber doch gut zu dem oft gehörten Vorwurf, sie erkläre und rahme ihre Politik zu wenig.

Ich habe die Erörterung der positionalen Terminologiearbeit hier auf die verstehen unter-Konstruktionen beschränkt, weil sie formseitig gut identifizierbar und eindeutig auf Praktiken der Terminologiearbeit beziehbar sind. Dazu sind allerdings noch zwei Anmerkungen zu machen. Erstens gibt es allerdings auch eine nicht-positionale Gebrauchsvariante der Konstruktion, wie sie in Beleg (16) dokumentiert ist15:

  • (16)   In der die Sache betreffenden Bekanntmachung wurden die Luftfahrzeugführer allgemein auf die Einhaltung einer ausreichenden Sicherheitsmindesthöhe beim Überfliegen von Industrieanlagen hoher Gefahrenklassen hingewiesen. Als Beispiel dafür, was unter „Anlagen hoher Gefahrenklassen“ zu verstehen ist, wurden nur die Anlagen „Chemische Werke Marl-Hüls“ und „Phenol-Chemie GmbH, Gladbeck“, aufgeführt. Karl Wilhelm Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, 06.02.1970

Zweitens gehören zu den positionalen Praktiken auch Formulierungen wie NP[Definierer] meint NP[Definiendum] mit NP[Definiens] oder NP[Definiens] bedeutet NP[Definiendum] für NP[Definierer]. Nach Durchsicht der Belege hat sich aber gezeigt, dass diese nur im Ausnahmefall der Terminologiearbeit im eingeführten Sinn dienen, also zur Bearbeitung und Kontrolle von Fachsemantiken. In der Regel geht es um Metakommunikation über alltagssprachliche Phänomene. Daher habe ich sie hier nicht mitbehandelt.

5.2 Nichtsaliente Terminologiearbeit

Während es bei der salienten Terminologiearbeit darum geht, die Fachsemantik von Termini im Zuge und im Sinne der politischen Diskussion zu bearbeiten und Terminologiearbeit also Teil einer politischen Strategie ist, gibt es auch Alltagspraktiken der Verständnissicherung oder Ausstellung von Wörtern als Termini in der parlamentarischen Debatte, die gleichsam nebenbei verlaufen. Dazu gehören explikative Definitionen, die syntaktisch als Apposition realisiert sind (5.2.1), Formulierungen, die auf die Sachebene zielen und die ich Realthematisierungen nenne (5.2.2), und Distanzmarkierungen, mit denen eine begriffliche Distanz zwischen dem Terminus und der Sprecherin und dem Sprecher etabliert wird (5.2.3). Die meisten Fälle sind ausdruckseitig mit derartiger lexikalischer Variation realisierbar, dass sie nur an exemplarischen Belegen beschrieben werden können. Die suchbaren Muster weisen keine für den parlamentarischen Diskurs spezifische Verteilung auf, die hier vertieft werden könnte.

5.2.1 Appositive Explikation

Ein Mittel der Verständnissicherung ist es, das Definiens als Apposition an das Definiendum anzuschließen. Dieses gehören nach Roelckes oben vorgetragener Typologie (s. Kap. 2.4) zu den explikativen Definitionen. Hier kann man zwei Typen unterscheiden: einen asyndetischen Typ, bei dem das Definiens über eine Implikatur als solches erschlossen werden muss (Beleg 17) und einen expliziten, syndetischen Typ, bei dem das Definiens als solches markiert ist, z.B. mit das heißt (18) oder also (19):

  • (17)   Als ob sich im letzten Jahr in den Außenbeziehungen, in den „terms of trade“, in den Bedingungen des Wirtschaftens dieses Landes nahezu nichts verändert hätte! Dr. Norbert Blüm, CDU/CSU, 13.12.1974

  • (18)   Für uns muss der Grundsatz der Subsidiarität, das heißt die Wahrung der Eigenverantwortung von Bürgern, Kommunen, Regionen und Mitgliedstaaten, wo immer hierdurch bessere Ergebnisse garantiert werden, gesichert werden. Peter Hintze, CDU/CSU, 08.05.2003

  • (19)   Wir wissen, dass der Volatilität, also den Schwankungen bei der Einspeisung ins Netz, natürlich begegnet werden muss. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn, SPD 29.01.2016

Solche Formen der Nebenbei-Definition16 dienen dazu, das Verständnis eingeführter Termini zu sichern, ohne dass auf der Terminologiearbeit der Akzent der Äußerung liegt. Es ist entsprechend zu erwarten, dass ihr Gebrauch nicht von Diskursphasen im Parlament abhängig ist17. Die asyndetischen Fälle können auch gar nicht systematisch gesucht werden.

5.2.2 Distanzmarkierung

Ein auch in akademischen Texten anzutreffendes Verfahren ist die unspezifische metasprachliche Markierung eines Ausdrucks als Wort, dessen Kenntnis nicht vorausgesetzt wird (vgl. Bender in Vorb.). Diese Praktik bezieht sich in der Regel auf diskursextrinsische Termini. Es geht also um Markierung kommunikativer Distanz zwischen dem etablierten Common Ground und der Fachsemantik. Ein gängiger Marker dafür ist das Adjektiv sogenannt (bzw. als Phrase so genannt). Diese distanzierende Praktik kann grundsätzlich neutral verwendet werden, in dem Sinne, dass ein Wort als Terminus markiert wird, ohne damit eine Wertung des fachsemantisch konzeptualisierten Sachverhalts zu verbinden. Durch Attribuierung wird angezeigt, dass es sich um einen Terminus handelt, dessen möglicherweise von den Hörer*inne*n nicht zu entschlüsselnder Fachsemantik aber nicht im Fokus der Aussage steht. Der Terminus wird gleichsam durchgewunken. In diesem Sinne ist die Distanzmarkierung eine Praktik der terminologischen Arbeitsverweigerung. Im folgenden Beleg (20) wird dieses Prinzip ausnahmsweise explizit gemacht. Aus ihm stammt das für diesen Beitrag titelgebende Zitat:

  • (20)   Es gibt ein gemeinsames Papier von einer Reihe von Unternehmen, die für ein 30-Prozent-Ziel in der Europäischen Union eintreten. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem die Vorstandsvorsitzenden von EnBW, Vattenfall Europe, Deutsche Bahn, Deutsche Telekom, Otto Group, Burda und Puma. Außerdem gibt es eine gemeinsame Position zum sogenannten Backloading. Ich will das hier nicht ausführlich erläutern; denn das ist viel zu kompliziert. Frank Schwabe, SPD, 29.11.2012

Die Distanzmarkierung hat aber noch einen zweiten Anwendungsfall. Sie kann auch genutzt werden, um eine negative Positionierung metakommunikativ vorzubereiten. In den Beleg (21) findet sich ein Beispiel dafür. Hier wird der Ausdruck Kohleveredelung metakommunikativ als Terminus markiert, um auf der Sachverhaltsebene ein negativ-evaluatives Prädikat anzuschließen, die dann argumentativ gestützt wird:

  • (21)   Die sogenannte Kohleveredelung ist aber eine Energieverschwendungstechnologie, weil ein extrem großer Teil der Primärenergie bei der Umwandlung in flüssige oder gasförmige Energieträger verlorengeht. Hendrik Auhagen, Grüne, 27.11.1985

Wichtig und exemplarisch dabei ist, dass die sprachliche Repräsentationsebene zwar indiziert wird, durch die attributive Integration des Distanzmarkers der Satzfokus aber auf der Sachverhaltsebene liegt. In diesem Fall weist Sprecher en passant darauf hin, dass der von ihm erwähnte Terminus einen diskursextrinsischen Ausgangs-Kontext hat, bietet dann aber ohne weitere Metakommunikation eine konkurrierende, polemisch gemeinte Bezeichnung an. Er führt also einen semantischen Kampf auf, im Gegensatz zu dem oben in Kap. 5.1.2 analysierten Beispiel markiert er das aber nur zur Hälfte. Dadurch, dass er den Terminus mit Distanzmarker einführt, die Konkurrenzbezeichnung aber auf der Sachverhaltsebene, wird der Terminus gleichzeitig als ‚uneigentlich‘ und ‚euphemistisch‘ ausgewiesen. Das Fachwort wird zum politischen Kampfbegriff umgedeutet.

Wir finden aber auch andere Formulierungen der Distanzmarkierung, wie zum Beispiel in Beleg (21). Hier wird die Distanzierung propositional in der Parenthese ausgedrückt – auch hier geht es dem Sprecher darum, mit der Distanzierung eine politische Positionierung vorzubereiten:

  • (22)   Ich möchte Ihnen hier den Vorfall von Gütersloh ins Gedächtnis rufen, bei dem eine Gasflasche, in der eine Chemikalie befördert wurde, undicht wurde und der Inhalt, ein stark stinkendes Tetrahydrothiophen – allein die Begriffsbezeichnung zeigt schon, wie weit sich dieser Bereich von dem normalen Verständnis des Bürgers entfernt hat –, eine Entwicklung einleitete, die zur Folge hatte, daß 35 Menschen evakuiert und im Krankenhaus behandelt werden mußten. Torsten Wolfgramm, FDP, 15.11.1979

5.2.3 Realdefinitionen

Oft werden gerade diskursextrinsische Termini in Plenardebatten gar nicht als solche markiert, sondern einfach verwendet. In solchen Fällen kann dafür aber die Sache, die mit dem Terminus bezeichnet wird, durch Angabe von Merkmalen, Schilderung des Herstellungsprozesses oder Einordnung in übergeordnete Sachverhaltsbereiche charakterisiert werden. In fachlichen Kontexten spricht man dann von Realdefinitionen (s.o., Kap. 2.3). Solche findet man auch in den Plenarprotokollen, allerdings kommen sie sehr selten vor18. Beispiele dafür sind die Belege (23) und (24) zu den Termini Fracking bzw. sanfter Tourismus. Auffällig ist, dass die Praktiken immer dann zum Einsatz zu kommen scheinen, wenn Politiker*innen eine affirmative Position zum jeweiligen Thema einnehmen.

  • (23)   Beim Fracking wird eine Flüssigkeit unter hohem Druck in das Gestein gepresst. Dieses besteht aus einem Gemisch aus Wasser, Quarzsand und chemischen Additiven. In der Folge des hohen hydraulischen Drucks werden Klüfte im Gestein aufgebrochen und die gewünschten Wegsamkeiten für einen besseren Gasfluss geschaffen. Dr. Michael Paul, CDU/CSU, 30.06.2011

  • (24)   Der sanfte Tourismus ist charakterisiert durch die volle Anwendung der bestehenden Umweltschutzbestimmungen und fordert in vielen Fällen ihre Verschärfung. Sanfter Tourismus bedeutet den sofortigen Erschließungsstopp und, wo notwendig, Rücknahme der Erschließung zur Wiederherstellung natürlichen und naturnaher Ökosysteme. Sanfter Tourismus heißt ebenso die volle Anwendung des Verursacherprinzips, auch bei Schäden durch den Tourismus. Willi Tatge, Die Grünen, 16.10.1986

Das Beispiel in Beleg (25) gibt einen Hinweis darauf, dass Realdefinitionen im parlamentarischen Diskurs eine hohe konstruktionelle Varianz aufweisen. Das Definiendum ist hier Prozesswärme. Es wird explikativ definiert mittels einer vorangestellten diskontinuierlichen NP, deren syntaktischer Kopf semantisch eine Merkmalsangabe zum Definiendum darstellt: die technische Neuheit. Der zweite Teil des Definiens, Kopplung von Kernenergie und Kohle, wird als syndetisch integrierte Apposition formuliert. Das Definiendum ist dem als satzwertige eingliedrige Äußerung nachgestellt. Es bildet wiederum den Kopf einer Appositionskonstruktion, in die ein evaluatives Prädikat eingebettet ist. Es ist ein Merkmal des parlamentarischen Diskurses, dass solch komplexe Strukturen mit der entsprechenden Prosodie glatt vorgetragen werden können und für die eingeübten Zuhörenden gut verständlich sind. In unserem Zusammenhang ist an dem Beleg typisch, dass explikative Definition und Evaluation, welche wiederum bereits ein Argument in der politischen Debatte bildet, eng ineinander verflochten sind:

  • (25)   Nennen Sie mir ein Bundesland, wo ein Prototyp für einen Hochtemperaturreaktor gebaut wird, der ja gerade die technische Neuheit darstellt, nämlich die Kopplung von Kernenergie und Kohle: Prozeßwärme, ein technisch ganz interessantes Gebiet. Minister Dr. Posser, 28.01.1981

Es finden sich auch Mischformen von Distanzmarkierung und Realthematisierung. In Beleg (26) etwa wird der Ausdruck Dünnsäure zwar mit einem Distanzmarker attribuiert und damit metasprachlich indiziert. Allerdings wird mit der angeschlossenen explikativen Realdefinition Dünnsäure retrospektiv als Sachverhalt konzeptualisiert. Es werden in dieser Formulierung also zwei semiotischen Ebenen – die Repräsentationsebene und die Sachverhaltsebene – indiziert. Bezeichnend ist hier, dass dieser – in seiner Typik seltene – Beleg aus der von einem Staatssekretär vorgetragenen Antwort auf eine parlamentarische Anfrage stammt und nicht aus der parlamentarischen Debatte selbst:

  • (26)   Das Gebiet für die Verklappung der bei der Titanherstellung anfallenden Dünnsäure 15 Seemeilen nordwestlich Helgoland ist vom Deutschen Hydrographischen Institut und der Bundesforschungsanstalt für Fischerei ausgewählt worden, da es dort am wenigsten die Fischerei beeinträchtigt, keine auflandigen Strömungen herrschen […]. Diese sogenannte Dünnsäure besteht aus 18- bis 19%iger Schwefelsäure. Das bei der Produktion des Titandioxyds als kristallines Salz anfallende „Grünsalz“ wird der Dünnsäure beigemengt. Dr. Ludwig Seiermann, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, 22.09.1966

6. Resümee: Anwendbarkeit und didaktisches Potenzial

Der Deutsche Bundestag bildet einen Kontext, in dem systematisch intrinsisches und extrinsisches fachliches Wissen eingeführt und behandelt werden muss. Die Parlamentarier*innen befinden sich ständig in Lernersituationen in dem Sinne, dass sie in Debatten und Gesetzgebungsverfahren mit fachlichem Wissen in mehr oder weniger vertiefter Art umzugehen haben. Dabei sind verschiedene Grade an Öffentlichkeit und verschiedene Kreise der Rezeption von Fachtermini zu berücksichtigen: Einerseits eignen sich Parlamentarier*innen durch die Zugehörigkeit zu Gremien und Fachgruppen gewisse Expertisen in Fachdiskursen um z.B. Recht, Technologie und Medizin an, andererseits sind sie in Prozessen der Gesetzgebung ständig mit Fachdiskursen konfrontiert, mit denen sie nicht vertraut sind und deren Fachsemantik sie sich nicht durch Terminologiearbeit im eingeführten Sinn erschließen können. Daneben kommen noch zwei Aspekte hinzu: Erstens adressiert die parlamentarische Debatte als Trialog immer auch die Öffentlichkeit, in der Vertrautheit mit fachlichem Wissen nicht vorausgesetzt werden kann. Und zweitens bildet der politische Diskurs, wie wir gesehen haben, selbst Fachsemantiken aus und bedingt diskursintrinsische Terminologisierungen.

Aus dieser Situation heraus ließen sich verschiedene Typen der Terminologiearbeit beobachten. Ich habe zwischen salienter und nicht-salienter Terminologiearbeit unterschieden. Unter salienter Terminologiearbeit verstehe ich sprachliche Praktiken mit denen ein Ausdruck explizit als Terminus markiert wird. Das kann erstens mittels expliziter Integratoren, also Wörtern wie Fachwort oder Begriff, geschehen, zweitens durch explizites, in der Proposition ausgedrücktes Definieren und drittens durch Praktiken, mit denen Bedeutungsexplikationen ausdrücklich aus der Perspektive einer Person, Gruppe, Partei oder Fraktion gegeben oder von anderen eingefordert werden. Letzteres nenne ich positionale Terminologiearbeit. Nicht-saliente Terminologiearbeit findet statt, wenn Sprecher*innen die Semantik eines Ausdrucks als spezifikationsbedürftig markieren, ohne diesen als Terminus auszuweisen. Dazu gehören erstens explikative Definitionen, die syntaktisch als Apposition realisiert sind, zweitens Realthematisierungen von fachlichen Konzepten, die auf die Sachebene zielen, und drittens Distanzmarkierungen, mit denen eine begriffliche Distanz zwischen dem Terminus und der Sprecherin und dem Sprecher etabliert wird.

Diese Praktiken stelle ich hier noch einmal in Tab. 1 zusammen:

Tabelle 1

Praktiken der Terminologiearbeit im Deutschen Bundestag

Saliente Terminologiearbeit Nichtsaliente Terminologiearbeit
–Einsatz von expliziten Integratoren –appositive Explikation
–explizites Definieren –Distanzmarkierung
–positionale Terminologiearbeit –Realdefinitionen

Während sich bei den salienten Praktiken der Terminologiearbeit suchbare Muster feststellen ließen, werden nicht-saliente Praktiken ausdruckseitig mit großer lexikalischer Variation realisiert. Fachpolitiker*innen zeigen in Plenardebatten durch indexikalische Verweise wie z.B. den Gebrauch expliziter Integratoren an, dass die Fachlichkeit eingeführter Semantiken gewährleistet ist. Es handelt sich also in diesen Fällen nicht um Terminologiearbeit im engen Sinne, sondern um den Verweis darauf. In anderen Fällen, welche vor allem die diskursintrinsische Terminologie betreffen, werden Definitionen gegeben, in Frage gestellt oder eingefordert. Dort konnten wir sehen, dass dies vor allem dann geschieht, wenn die politische Debatte selbst auf die begriffliche Ebene verlagert wird, wenn also semantische Kämpfe ausgetragen werden. Distanzmarkierungen werden ebenfalls in semantischen Kämpfen angewandt – allerdings dann, wenn die terminologische Repräsentationsebene dazu dient, einen Terminus als ‚uneigentlich‘ und dem ‚eigentlichen‘ Sachverhalt unangemessen auszuweisen. Mit aller Vorsicht gesagt lässt sich die Tendenz feststellen, dass die salienten Praktiken der Terminologiearbeit eher diskursintrinsische sowie sozial- und geisteswissenschaftliche Termini betreffen. Sie hängen – wie oben gezeigt – besonderes eng mit den trialogischen Praktiken der parlamentarischen Debatte zusammen. Die nicht-salienten Praktiken werden dagegen tendenziell mit diskursextrinsischen Termini aus den Domänen Technik und Naturwissenschaft vollzogen.

Insgesamt ist aber zu beobachten, dass die Kenntnis komplexer Termini und Sachverhalte im Deutschen Bundestag erstaunlich oft vorausgesetzt wird. Das kann man als „terminologische Integration mit Existenzpräsupposition“ bezeichnen (vgl. Bender in Vorb.). Es finden sich zum Beispiel keine als Definitionen oder metakommunikative Markierungen beschreibbare Formulierungen zu den belegten Termini Eisenhydroxidschlamm, Hydropyrolyse und Sekundärmetabolit. Man könnte meinen, dass in solchen Fällen vollständige terminologische Arbeitsverweigerung betrieben wird. Allerdings ist hier zu beachten, dass die Parlamentsdebatte ein hybrider Kontext ist (s.o., Kap. 3), in dem die Öffentlichkeit als eigentlicher Adressat nicht immer gleich präsent ist. Je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass über die jeweilige Debatte in der Tagesschau berichtet wird, desto wahrscheinlicher trifft man auf Termini, die mit Existenzpräsupposition eingeführt und umstandslos verwendet werden. In solchen weniger öffentlichen Kontexten wird deutlich, dass sich Plenardebatten in einem System von Diskursarenen abspielen, in denen dieselben Akteure in wechselnder Besetzung in mehr oder weniger fachlichen und öffentlichen Kontexten über Themen sprechen. Beispielsweise kann im Zuge eines Gesetzgebungsverfahrens ein diskursextrinsischer Terminus wie Hydropyrolyse schnell als etabliert gelten und muss nicht weiter erläutert werden.

Ich hoffe gezeigt zu haben, dass es neben den aus der Fachsprachenforschung bekannten Praktiken des Definierens vielfältige Praktiken des metakommunikativen Umgangs mit Termini im öffentlichen Diskurs gibt, die durch ihre Musterhaftigkeit markiert und erkennbar sind. Diese Muster sind mehr oder weniger variabel, an situative Kontexte gebunden und salient. Im Sinne einer Propädeutik der DaF-Didaktik haben wir gesehen, dass Termini zwar oft nicht formseitig von Ausdrücken der Alltagssprache unterscheidbar sind und auch nicht immer in memorierbaren (oder automatisch extrahierbaren) Passe-Partout-Formulierungen gebunden sind, dass wir aber sehr wohl in vielen Fällen Hinweise darauf bekommen, dass Ausdrücke als Termini gemeint sind. Für DaF-Lernende ist es daher hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, welche sprachlichen Praktiken beim Einführen von Termini in nichtfachlichen Kontexten zum Einsatz kommen. Dazu scheint mir die Arbeit an exemplarischen Beispielen, wie ich sie hier gegeben habe, sinnvoll zu sein. Die Praktiken der Terminologiearbeit, die ich hier unterschieden habe, mögen hierzu als eine Heuristik dienen. Noch sinnvoller ist es sicherlich, die Muster der terminologischen Integration selbst in der Arbeit mit geeigneten Korpora wie dem hier vorgestellten zu rekonstruieren, um deren Variation und die Vielfalt der damit verbundenen kommunikativen Zwecke ermessen zu können. Die rekonstruktive Terminologiearbeit wäre dabei einer unter vielen Anwendungsfällen von Sprachkorpora im DaF-Unterricht. Die damit zu erwerbende Kompetenz scheint mir für die oder den Lernenden bedeutsamer zu sein als z.B. die Kenntnis einer Liste irgendwie ermittelter Fachtermini zum Thema X. Sie erlaubt es nämlich, ein Gefühl zu entwickeln für die Grenze zwischen demjenigen, was die Diskursakteure als Common Ground der Sprachgemeinschaft präsupponieren, und dem Spezialwissen der Fachdiskurse.

Notes

  1. „Regimes can be defined as sets of implicit or explicit principles, norms, rules, and decisionmaking procedures around which actors’ expectations converge in a given area of international relations. Principles are beliefs of fact, causation, and rectitude. Norms are standards of behavior defined in terms of rights and obligations. Rules are specific prescriptions or proscriptions for action“ (Krasner 1982: 186). [^]
  2. Wie und ob überhaupt man durch Korpusanalyse herausfindet, was jemand denkt, ist eine methodische Frage, die ich in Kap. 4 adressiere. [^]
  3. Zum Begriff vgl. den Sammelband von Meier / Viehauser / Sahle (2020), darin Müller (2020) zum Verhältnis der Termini Kontextualisierung und Re-Kontextualisierung. [^]
  4. In der jetzigen Release des Korpus sind alle Debatten bis einschließlich Mai 2021 abgedeckt. LP 19 ist also nicht vollständig repräsentiert. [^]
  5. Da es mir nicht um Analysen der Termini selbst ging, sondern darum, Stellen zu eruieren, an denen möglicherweise Praktiken der terminologischen Integration im eingeführten Sinn zu finden waren, halte ich diese Schätzmethode ohne weitere Verfahren der übersubjektiven Plausibilisierung wie z.B. Inter-Rater-Agreement für angemessen. Mit folgenden Terminus-Kandidaten habe ich die Beleg-Suche begonnen: Brütertechnologie, CCS, Dekarbonisierung, Fotovoltaik, Geothermie, Grundlast, Hochtemperaturreaktor, Kohleveredelung, Kohlevergasung, Leichtwasserreaktor, Offshore–Windenergie, Oligopol, Rekommunalisierung, Ressourceneffizienz, Stromsperre. [^]
  6. Log-Ratio-Statistik mit Log-likelihood-Filter (p<0.05); Kollokationsfenster 5 Wörter links und rechts. [^]
  7. Womit nicht gesagt werden soll, dass Fragen der Automatisierung textpragmatischer Annotationen nicht wichtig oder interessant wären. Damit haben wir uns ausführlich und mit verschiedenen Ansätzen an anderer Stelle beschäftigt (vgl. Becker / Bender / Müller 2020; Müller / Bartsch / Zinn 2021). [^]
  8. Salienz in diesem Sinne bedeutet also situative Markanz, während es bei Kleins (2017) in der Politolinguistik einschlägigem Konzept der „salienten Sätze“ um übersituative, diskurshistorische Markanz geht, z.B. Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung (vgl. Klein 2017: 158). [^]
  9. Ein diskursreferentieller Verweis ist ein referentieller Bezug auf einen oder mehrere Vortexte im Diskurs. Zum Terminus Diskursreferenzierung vgl. Bender / Müller (2020: 23). [^]
  10. Die Hervorhebungen der Indikatprausdrücke für die jeweilige terminologische Praktik durch Fettdruck sind hier und in den folgenden Belegen von mir. [^]
  11. Gemessen habe ich die Verteilung über Zeit pro Jahr mit folgendem in der Abfragesprache CQL verfasstem Suchausdruck: [lemma=“Terminus|Terminologie|Fachausdruck|Fachwort“]|[lemma=“.*begriff“%c&lemma!=“Kampf.*“]. [^]
  12. In Müller / Mell (2021: 8-13) haben wir thematische Kontexte von Risikothematisierungen im Deutschen Bundestag über die Zeit untersucht. Der Kontext ‚Technologie‘ ist dabei nach ‚Ökonomie‘ der am stärksten wachsende, wenn man die Varianz themensensitiver Kollokationen pro Wahlperiode zugrunde legt. [^]
  13. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/23235558_wahlperioden02-199554 (25.02.2022). [^]
  14. Folgende Abfrage wurde gemacht: (([word="unter"][word!=","]* [lemma="verstehen"]) |([lemma="verstehen"][word!=","]* [word="unter"])) within s = alle Phrasen, welche das Wort unter und Tokens des Lemmas verstehen innerhalb eines Teilsatzes enthalten. [^]
  15. Die Konstruktion NP[Definiendum] ist unter NP[Definiens] zu verstehen macht 14,5 % der unter-verstehen-Konstruktionen im Korpus aus. [^]
  16. Im Anschluss an Linkes und Nussbaumers (2000: 440-441) Terminus „Nebenbei-Prädikation“. [^]
  17. Bei den appositiven explikativen Definitionen mit das heißt und also gibt es erwartungsgemäß keine lineare Entwicklung. Die Frequenzkurve der NP[Definiens], also NP[Definiendum]-Konstruktionen weist eine statistisch signifikante Delle zwischen 1969 und 1995 auf, die sehr interessant, aber an dieser Stelle nicht zu klären ist. Die Konstruktionen mit sogenannt/so genannt haben zwei Troughs, eine absolutes um 1970 und ein weniger ausgeprägtes um 2000. Beide finden sich interessanterweise im DWDS-Zeitungskorpus wieder, nur in umgekehrter Intensität: DWDS-Wortverlaufskurve für „sogenannt || "so genannt"“, erstellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, https://www.dwds.de/r/plot/?view=1&corpus=zeitungen&norm=date%2Bclass&smooth=spline&genres=0&grand=1&slice=1&prune=0&window=3&wbase=0&logavg=0&logscale=0&xrange=1949%3A2021&q1=sogenannt%20%7C%7C%20%22so%20genannt%22 (25.02.2022). Es scheint sich jedenfalls um ein sprach- statt diskurshistorisches Phänomen zu handeln. [^]
  18. Das legen Beispielabfragen nahe: Die Auswertung einer Zufalls-Stichprobe der Ergebnisse der Anfragen [pos="NN"][word="ist"] [pos="ART"], [word="zeichnet"][word="sich"][word="durch|dadurch"] und [lemma="bestehen"][word="aus"] sowie der 8 Treffer für [lemma="sein"][word="charakterisiert"] ergibt bei einer großzügigen Begriffsauslegung 3% Realdefinitionen. [^]

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Biografische Notiz

Marcus Müller ist Professor für Germanistik – Digitale Linguistik an der Technischen Universität Darmstadt. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören digitale Diskursanalyse, Korpuslinguistik, Wissenschaftsdiskurse, grammatische Variation sowie Sprache und Kunst. Aktuelle Arbeitsschwerpunkte sind empirische Terminologieforschung, öffentliche Risikodiskurse in Deutschland und Großbritannien und heuristische Praktiken in wissenschaftlichen Texten.