1. Einleitung
Die Bedeutung von Textsorten und Registern im Sprachgebrauch und deren Relevanz für den Fremdsprachenunterricht ist ein zentrales Thema in der modernen Sprachdidaktik. Viele Beiträge widmeten sich bereits dem Thema, insbesondere im Bereich Englisch als Fremd-/Zweitsprache (vgl. Conrad 2004; Meunier / Reppen 2015; Gray / Egbert 2021; Jeaco 2021; Foll 2021). Im Bereich Deutsch als Fremdsprache (DaF) ist die Auseinandersetzung mit Textsorten und Registern zwar noch weniger ausgeprägt, gewinnt jedoch zunehmend an Bedeutung. Wegweisende Arbeiten liegen vor – wie Fandrych / Tschirner (2007) und Fandrych / Thurmair (2010). Zugleich bieten einige Beiträge in früheren Ausgaben dieser Zeitschrift interessante Einsatzmöglichkeiten von Ressourcen spezifischer Register im DaF-Unterricht an, wie das ZuMult-Projekt (vgl. Fandrych et. al 2023) und Korpora internetbasierter Kommunikation (vgl. Gredel 2023).
Die Verwendung und Kenntnis unterschiedlicher Textsorten und Register gehören zum Alltag eines jeden Menschen (vgl. Heinemann 2000: 507) und sind daher ebenfalls für Sprachlernende von großer Bedeutung (vgl. Biber / Conrad 2009: 3–4). Täglich begegnen Menschen einer Vielzahl verschiedener Texte, sowohl in gesprochener als auch in geschriebener Form. Einige dieser Texte werden aktiv produziert und rezipiert, wie informelle und formelle Gespräche, E-Mails oder Beiträge in sozialen Medien, während andere primär rezipiert werden, beispielsweise Zeitungsartikel, Blogs, Podcasts sowie Radio- und Fernsehsendungen.
Textsorten und Register sind eng mit spezifischen Kommunikationssituationen und -zwecken verknüpft. Die Wahl der angemessenen Textvarietät variiert je nach Kontext (z. B. privat, beruflich, öffentlich) und ermöglicht eine effektive und situationsgerechte Kommunikation. So unterscheidet sich etwa ein formeller Geschäftsbrief deutlich von einer privaten WhatsApp-Nachricht. Die Fähigkeit, verschiedene Textsorten und Register zu beherrschen, bildet einen wesentlichen Teil der kommunikativen Kompetenz. Um im Alltag erfolgreich zu kommunizieren, ist es notwendig, flexibel zwischen verschiedenen Textvarietäten wechseln zu können. Diese Flexibilität und das Verständnis für die Vielfalt der Textsorten und Register sind somit entscheidend für eine effektive Kommunikation in unterschiedlichen Lebensbereichen.
Nach Biber / Conrad (2009: 15–16) bezeichnen die Begriffe Textsorte und Register verschiedene Perspektiven, unter denen Textvarietäten betrachtet werden können. Die Textsortenperspektive fokussiert auf die linguistischen Merkmale, die verwendet werden, um Texte zu strukturieren, während die Registerperspektive sich auf die linguistischen Merkmale konzentriert, die in Texten einer Varietät häufig vorkommen und deswegen charakteristisch für diese Varietät sind.
Korpusanalytische Untersuchungen belegen, dass der situative Kontext bzw. Register ein wichtiger Prädiktor für sprachliche Variation darstellt (vgl. Biber 2012; Gablasova / Brezina / McEnery 2017). Dies zeigt sich besonders deutlich im Vergleich zwischen gesprochener und geschriebener Sprache, deren Verwendungsmuster sich drastisch unterscheiden, wie man in der Gegenüberstellung von Gesprächen und akademischen Prosa beobachten kann (vgl. Biber 2012: 11). Eine angemessene linguistische Beschreibung muss daher mindestens diese beiden Pole des Kontinuums berücksichtigen (vgl. Biber 2012: 11).
Die sprachliche Variabilität, bei der Menschen ihre Sprache an verschiedene Situationen anpassen, wird im DaF-Unterricht oft vernachlässigt, obwohl sie für authentischen Sprachgebrauch entscheidend ist. Wie Stubbs (2004: 115) beobachtet: „A well-known problem for even advanced language learners is that they may speak grammatically, yet not sound native-like, because their language use deviates from native speaker collocational norm“.
In ihrer korpusbasierten Studie über Spracherwerbsforschung analysierten Gablasova / Brezina / McEnery (2017) Kollokationsmuster in verschiedenen Textsorten und Registern des BNC (British National Corpus), sowohl in geschriebener als auch in gesprochener Sprache. Dabei stellen sie fest, dass diese Muster systematisch nach Frequenz und nach Stärke der Assoziation variieren.
Die Verwendung von Korpora ermöglicht ein umfassenderes Verständnis sprachlicher Variationsmuster und bietet damit wichtige Vorteile für den DaF-Unterricht. Korpusanalysen können systematisch aufzeigen, welche spezifischen Merkmale bestimmte Textsorten und Register von anderen unterscheiden (vgl. Conrad 2004).
Insbesondere bei der Untersuchung lexiko-grammatischer Fragen zeigen Korpora, welche Wörter häufig oder selten in bestimmten Kontexten gemeinsam auftreten (vgl. Stubbs 2004: 115). Diese Kollokationsmuster sind eng mit dem Stil und Register eines Textes verbunden, wie Gablasova / Brezina / McEnery (2017) zeigten, und variieren systematisch je nach Kommunikationssituation. So können Korpora aufzeigen, welche Wörter in konventionalisierten Kombinationen häufig verwendet werden und welche nur in speziellen Kontexten vorkommen (vgl. Stubbs 2004: 121). Diese Erkenntnisse sind besonders nützlich für die Gestaltung von Lehrplänen, da sie Lehrenden helfen, den Sprachgebrauch gezielt zu vermitteln.
Darüber hinaus ermöglichen Korpusmethoden auch die Analyse ganzer Texte und Texttypen. Sie können beispielsweise aufzeigen, wie hoch der Anteil an Wiederholungen oder neuen Wörtern in einem Text ist (Type-Token-Ratio), das Verhältnis von Inhalts- zu Funktionswörtern (lexikalische Dichte) oder den Anteil an Alltags- und Fachvokabular (vgl. Stubbs 2004: 122) darstellen. Solche Analysen helfen dabei, zentrale Tendenzen und Variationsbreiten innerhalb eines Registers zu ermitteln und diese im Unterricht gezielt zu behandeln.
2. Die Beiträge dieser Ausgabe
Die drei Beiträge dieser Themenausgabe liefern wichtige Erkenntnisse für die Entwicklung von Lehr- und Lernmaterialien im DaF-Unterricht. Alle Autor:innen nutzen Korpora als Grundlage und betonen die Notwendigkeit, authentische Sprachdaten zu berücksichtigen. Jeder Beitrag fokussiert ein spezifisches Register oder eine Textsorte und fördert spezifische sprachliche Kompetenzen:
Gesprochenes Deutsch in verschiedenen Kontexten: Grammatik (Giorgio Antonioli)
Interaktive Sequenzen in Vorlesungen: Hörverstehen (Martin Wichmann / Juliane Michelini)
Vorlesungsmitschriften: Schriftliche Produktion (Sandra Reitbrecht)
In seinem Beitrag stellt Giorgio Antonioli das Projekt LernGrammis vor, ein innovatives Vorhaben zur korpusbasierten digitalen Grammatikvermittlung des gesprochenen Deutsch, das am IDS – Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim entwickelt wird. Ziel des Projekts ist es, einen niederschwelligen und adaptiven Zugang zur deutschen Grammatik zu bieten. Der methodische Ansatz von LernGrammis basiert auf der Verwendung authentischer Beispiele aus dem FOLK-Korpus, um Lernende für die Besonderheiten der gesprochenen Sprache zu sensibilisieren. Durch eine didaktische Strategie, die auf der Aktivierung vorhandenen Grammatikwissens aufbaut und neue Konzepte schrittweise einführt, soll ein tieferes Verständnis der deutschen Sprache gefördert werden. Inhaltlich stehen grammatische Besonderheiten des gesprochenen Deutsch im Vergleich zur Schriftsprache im Fokus. Dabei werden spezifische Phänomene wie Verbzweitsätze mit Subjunktoren und Nebensätze mit wo in nicht-lokaler Bedeutung exemplarisch behandelt. Primär richtet sich LernGrammis an Lehrkräfte und fortgeschrittene Lernende (ab B2-Niveau), um die Integration von Merkmalen des gesprochenen Deutsch in den DaF/DaZ-Unterricht zu unterstützen. Die Notwendigkeit authentischer Korpusbeispiele wird betont, um die Lücke zwischen konstruierten Lehrwerkbeispielen und dem tatsächlichen Sprachgebrauch zu schließen.
Im zweiten Beitrag präsentieren Martin Wichmann und Juliane Michelini einen innovativen Ansatz zur didaktischen Vermittlung des Hörverstehens in Vorlesungen für internationale Studierende. Dabei nutzen sie authentisches Material und korpusbasierte Analysen, um Lernende gezielt auf reale Vorlesungssituationen vorzubereiten. Das Projekt zielt darauf ab, ein Kurskonzept für das Hörverstehen in Vorlesungen zu entwickeln, das sich speziell an internationale Studierende richtet. Der Fokus liegt auf Fragehandlungen in interaktiven Vorlesungssequenzen. Grundlage hierfür ist ein fächerübergreifendes Vorlesungskorpus. Dieses Korpus umfasst 236 Audiosequenzen aus sechs Bachelor-Vorlesungsreihen und bietet eine vielfältige Basis für die Analyse von Fragehandlungen. Die detaillierte Untersuchung des Korpus ermöglicht eine Kategorisierung der Fragen nach ihrer Funktion und ihrem Komplexitätsgrad. Dabei wurde nicht nur zwischen Fragen von Dozierenden und Studierenden unterschieden, sondern auch verschiedene Fragetypen wie Wissensabfragen, eristische Fragen oder Rückfragen identifiziert. Auf Basis der Korpusanalyse wurden Lehr-Lern-Materialien entwickelt, die Aufgaben zur Bewusstmachung, zum auditiven Erkennen und zum Verstehen von Fragen enthalten. Diese sollen internationale Studierende gezielt bei den kommunikativen Herausforderungen in Vorlesungen unterstützen. Der Ansatz überwindet Schwachstellen traditioneller Hörverstehensdidaktik, indem er authentische Daten nutzt, um eine effektive Vorbereitung auf reale Vorlesungssituationen zu ermöglichen. Das Kurskonzept kann zudem als Referenzdesign auf andere Lernkontexte übertragen werden.
Sandra Reitbrecht präsentiert eine detaillierte Untersuchung der syntaktischen Gestaltung von Vorlesungsmitschriften, wobei der Fokus auf Unterschieden zwischen Studierenden mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache liegt. Die Studie basiert auf der Analyse von 22 Mitschriften aus dem MIKO-Korpus, die während einer Vorlesungsreihe über Lexikologie an der Universität Leipzig entstanden sind. Das Korpus umfasst 14 Mitschriften von L1-Studierenden und 8 von L2-Studierenden, mit insgesamt 1621 analysierten Segmenten. Die Ergebnisse zeigen, dass die Studierenden überwiegend Konstruktionen ohne Verb verwenden (ca. 75 %). Die Vielfalt der Strukturen reicht von einfachen Nominalgruppen bis hin zu komplexen Partizipialkonstruktionen. Dennoch zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den beiden Gruppen:
L1-Studierende verwenden häufiger komplexe Strukturen wie Partizipien und prädikative Adjektive.
L2-Studierende greifen öfter auf Strukturen mit konjugierten Verben zurück.
Korrelation mit Sprachkompetenz: Es besteht eine positive Korrelation zwischen der Sprachkompetenz der Studierenden und dem Anteil komplexer syntaktischer Strukturen in ihren Mitschriften. Insbesondere komplexe Adjektivgruppen korrelieren mit den Sprachkompetenzmaßen.
Reitbrechts Studie liefert wertvolle Einblicke in die individuellen Strategien beim Mitschreiben von Vorlesungen und zeigt, dass die syntaktische Gestaltung von Mitschriften nicht nur von der inhaltlichen Komplexität der Vorlesung abhängt, sondern auch von der sprachlichen Kompetenz der Studierenden beeinflusst wird. Die Ergebnisse dieser Untersuchung können dazu beitragen, die Mitschriftkompetenz von Studierenden gezielter zu fördern und die Lehre an die spezifischen Bedürfnisse der Studierenden anzupassen.
3. Zusammenfassung und Ausblick
Die drei Beiträge unterstreichen die zunehmende Bedeutung von Register- und Textsortenkompetenz im DaF-Unterricht, insbesondere im universitären Kontext. Sie zeigen, wie korpusbasierte Ansätze und authentische Sprachdaten erfolgreich in die Vermittlung verschiedener sprachlicher Kompetenzen integriert werden können. Die Studien belegen eindrücklich, dass die systematische Berücksichtigung von Registern und Textsorten – von der gesprochenen Sprache über Vorlesungsinteraktionen bis hin zu schriftlichen Mitschriften – essenziell für einen effektiven DaF-Unterricht ist. Dabei sollte die Unterscheidung zwischen Register- und Textsortenperspektive weiter ausdifferenziert werden, wobei besonders die Wechselwirkungen zwischen situativem Kontext und sprachlicher Variation systematischer zu erforschen sind.
Zentrale Entwicklungsfelder für den DaF-Unterricht umfassen die Integration digitaler Kommunikationsformen und deren spezifische Register, die systematische Vermittlung von Registerkompetenz für verschiedene Kommunikationssituationen sowie die Entwicklung von Lehrkonzepten für die Vermittlung von Textsortenmustern. Die korpusbasierte Analyse von Registern und Textsorten bietet noch viel Potenzial, insbesondere durch die Erweiterung der Korpora um neue Textsorten und Register, die Verfeinerung der Analysemethoden für Kollokationsmuster und die Entwicklung spezifischer Korpora für den DaF-Unterricht. Künftige Forschung sollte sich besonders auf vergleichende Analysen zwischen L1- und L2-Sprechern in verschiedenen Registern sowie die Untersuchung der Rolle digitaler Medien bei der Entwicklung von Registerkompetenz konzentrieren. Die Integration dieser Perspektiven verspricht eine effektivere Vermittlung von Register- und Textsortenkompetenz im DaF-Unterricht und damit eine bessere Vorbereitung der Lernenden auf authentische Kommunikationssituationen.
Literatur und Ressourcen
Biber, Douglas (2012): Register as a predictor of linguistic variation. In: Corpus Linguistics and Linguistic Theory 8: 1, 937. http://doi.org/10.1515/cllt-2012-0002.
Biber, Douglas / Conrad, Susan (2009): Register, Genre, and Style. Cambridge: Cambridge University Press.
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Fandrych, Christian / Thurmair, Maria (2010): Textsorten im Deutschen: Linguistische Analysen aus sprachdidaktischer Sicht. Tübingen: Stauffenburg Linguistik.
Fandrych, Christian / Tschirner, Erwin (2007): Korpuslinguistik und Deutsch als Fremdsprache. Ein Perspektivenwechsel. In: Deutsch als Fremdsprache 44: 4, 195–204.
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Gablasova, Dana / Brezina, Vaclav / McEnery, Tony (2017): Collocations in Corpus-Based Language Learning Research: Identifying, Comparing, and Interpreting the Evidence. In: Language Learning 67: S1, 155–179. http://doi.org/10.1111/lang.12225.
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Jeaco, Stephen (2021): Exploring register with The Prime Machine: Promoting register awareness through a module for English majors at a Sino-British university in China. In: Register Studies 3: 2, 279–298. http://doi.org/10.1075/rs.20015.jea.
Meunier, Fanny / Reppen, Randi (2015): Corpus vs. non-corpus informed pedagogical materials: Grammar as the focus. In: Biber, Douglas / Reppen, Randi (Hrsg.): The Cambridge Handbook of English Corpus Linguistics. Cambridge: Cambridge University Press, 498–514.
Stubbs, Michael (2004): Language Corpora. In: Davies, Alan / Elder, Catherine (Hrsg.): The Handbook of Applied Linguistics. Blackwell, 106–132.
Biographische Notiz
Andressa Costa ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und IT-Beauftragte im Department für Wissenschaftskommunikation mit Schwerpunkt Linguistik des Karlsruher Institut für Technologie. Ihre Forschungsinteresse sind Korpuslinguistik, Registervariation, Wissenschaftskommunikation und NLP.
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Andressa Costa
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