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ZUHAND: ZUGANG ZU HANDLUNGSSEQUENZEN UND HANDLUNGSBEZOGENEN THEMENAUSSCHNITTEN IN EINEM QUALITATIV ANNOTIERTEN FOLK-SUBKORPUS

Author: Julia Kaiser

  • ZUHAND: ZUGANG ZU HANDLUNGSSEQUENZEN UND HANDLUNGSBEZOGENEN THEMENAUSSCHNITTEN IN EINEM QUALITATIV ANNOTIERTEN FOLK-SUBKORPUS

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    ZUHAND: ZUGANG ZU HANDLUNGSSEQUENZEN UND HANDLUNGSBEZOGENEN THEMENAUSSCHNITTEN IN EINEM QUALITATIV ANNOTIERTEN FOLK-SUBKORPUS

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Abstract

Der Beitrag zur Webanwendung ZuHand stellt einen Zugang zu annotierten Handlungssequenzen und themenbasierten Gesprächsausschnitten im Korpus FOLK (Forschungs- und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch) vor. Qualitativ ausgewählte Interaktionssequenzen aus einem Subkorpus von FOLK können mit Hilfe von Filtern nach bestimmten Annotationskategorien durchsucht und angezeigt, mit Transkript und Audiodatei heruntergeladen und im DaF/DaZ-Unterricht zur Vermittlung authentischer sprachlicher Handlungen in ihrem interaktiven Kontext verwendet werden. Die Annotationen umfassen Sequenzen von Gesprächseröffnungen und -beendigungen mit verschiedenen Formen zur Begrüßung und Verabschiedung sowie Sequenzen mit spezifischen Modalverb-Verwendungen im Präsens. Beide Phänomenbereiche werden in der DaF-Lehre prominent behandelt, allerdings in der Regel ohne Berücksichtigung der Form-Funktions-Varianz in authentischer Mündlichkeit. Darüber hinaus ist über die Seite auch eine Auswahl von thematisch zusammengestellten Ausschnitten zugänglich, die Wortschatz zu drei Themenbereichen beinhalten (vgl. auch die Vokabelsuche über ZuRecht). Die Ausschnitte werden mit ihren jeweiligen Maßen zur Wortschatzabdeckung etc. (vgl. ZuMal) aufgeführt und im Transkriptbrowser ZuViel angezeigt.


This article about the web application ZuHand presents an access to annotated action sequences and topic-based conversational excerpts in the corpus FOLK (Forschungs- und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch). Qualitatively selected interaction sequences from a sub-corpus of FOLK can be searched and displayed using filters according to specific annotation categories, downloaded with their transcript and audio file, and used in GFL/GSL lessons to teach authentic verbal actions in their interactive context. The annotations include sequences of conversational openings and endings with different forms for greetings and goodbyes, as well as sequences with specific modal verb usages in present tense. Both phenomena are dealt with prominently in GFL teaching, but usually without considering the form-function variance in authentic speech. In addition, a selection of thematically compiled excerpts containing vocabulary on three topics is also accessible via the site (cf. also the vocabulary search via ZuRecht). The excerpts are listed with their respective measures of vocabulary coverage etc. (cf. ZuMal) and displayed in the transcript browser ZuViel.

Keywords: mündliche Korpora, Korpuslinguistik, interaktionale Linguistik, Sequenzanalyse, Gesprochene Sprache-Forschung, DaF/DaZ, Modalverbverwendungen, oral corpora, corpus linguistics, interactional linguistics, sequential analysis, research in spoken language, GFL/GSL, use of modal verbs

How to Cite:

Kaiser, J., (2023) “ZUHAND: ZUGANG ZU HANDLUNGSSEQUENZEN UND HANDLUNGSBEZOGENEN THEMENAUSSCHNITTEN IN EINEM QUALITATIV ANNOTIERTEN FOLK-SUBKORPUS”, Korpora Deutsch als Fremdsprache 3(1), 92–111. doi: https://doi.org/10.48694/kordaf.3736

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05 Aug 2023
Peer Reviewed

1. Einleitung: Inhaltlich-methodischer Fokus und Forschungshintergrund des Annotationsprojekts

Das übergeordnete Ziel der im ZuMult-Projekt implementierten, prototypischen Webanwendung ZuHand war es, mittels qualitativ entwickelter Annotationen von Sprachhandlungssequenzen über ein speziell entwickeltes Interface einen möglichen Ansatz für einen zielgruppenspezifischen Zugang zu Daten des Forschungs- und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch, kurz FOLK (vgl. Schmidt 2014 und 2016)1 als Ressource für den Deutsch als Fremdsprache-Unterricht auszuloten2.

Der inhaltliche Ansatz des Projekts motivierte sich zunächst aus drei Hauptaspekten3:

  • - erstens aus dem in der DaF-/DaZ-Forschung noch immer angemahnten und diskutierten Desiderat einer angemessenen Darstellung und adressatengerechten, effektiven Vermittlung authentischer Mündlichkeit und mündlicher Interaktion im DaF-/DaZ-Unterricht;

  • - zweitens aus den zunehmenden Forderungen aus der und an die Korpuslinguistik, authentische Sprachdaten auch für die DaF-/DaZ-Didaktik unmittelbarer zugänglich und nutzbar zu machen;

  • - und drittens aus den bislang noch vergleichsweise wenig explorierten didaktischen Aufbereitungs- und Anwendungsmöglichkeiten von Transkript- und Audio-/Video-Beispielen hinsichtlich konversationsanalytischer Methoden und Konzepte als explizite Lehr- und Lerngegenstände im Sprachunterricht.

Während die ersten beiden Aspekte auch der Konzeption von ZuMult als Gesamtprojekt zu Grunde liegen (vgl. für Weiteres dazu in Bezug auf ZuHand auch Kaiser / Schedl 2021: 48–52), ist der dritte Punkt ausschlaggebend für die Art der Sequenzannotationen in ZuHand. Bereits 1997 gaben Barraja-Rohan und Pritchard ein Handbuch für Englisch als Fremd- bzw. Zweitsprache heraus, das Ansätze zur expliziten Vermittlung von konversationsanalytischen Konzepten und Erkenntnissen für die Entwicklung und Verbesserung der interaktiven Kompetenz und somit auch der sozialen Handlungsfähigkeit von Sprachlernenden vorstellt. Diese Ansätze wurden zunächst wenig rezipiert, aber später in Wong / Waring (2010) und Barraja-Rohan (2011) weiterentwickelt, für das Deutsche u.a. bei Huth / Taleghani-Nikazm (2006), Betz / Huth (2014) und Huth / Betz / Taleghani-Nikazm (2019)4. In diesen Arbeiten werden Lehrmaterialien vorgeschlagen, die Einheiten zu Gesprächsorganisation, Turn-Taking, Sequenzorganisation, typischen Paarsequenzen, Präferenzorganisation, Reparaturen usw. beinhalten und diese anhand authentischer Transkript- und Audiobeispiele einführen. Die Strukturen und Phänomene, bspw. Selbst- und Fremdreparaturen bei Wortsuchen im Fremdsprachenunterricht, werden anhand genauer Transkriptarbeit metalinguistisch thematisiert, hinsichtlich ihrer Funktionen im Sprachgebrauch analysiert und z.B. anhand von Rollenspielen praktisch eingeübt. Huth / Betz / Taleghani-Nikazm (2019) fokussierten dabei auch auf die notwendige Aus- bzw. Weiterbildung der Lehrenden selbst. An diesen theoretisch-methodischen Zielsetzungen orientieren sich übergeordnet auch die für ZuHand durchgeführten Annotationen von gesprächsorganisatorischen und Paar-Sequenzen (vgl. die Beispiele in Abschnitt 4) in FOLK, einem Korpus, das bislang vornehmlich zur gesprächsanalytischen und interaktionslinguistischen Forschung, aber kaum zur Vermittlung eben solcher Inhalte in Sprachlehr- und -lernkontexten genutzt wird.

Die exemplarischen Sprachhandlungssequenzen wurden mittels konversationsanalytischer Methoden erschlossen und umfassen kurze Gesprächsausschnitte, in denen rekurrente und in der DaF-Lehre häufig sehr zentral gesetzte sprachliche Handlungen wie z.B. Vorschläge, Angebote oder Empfehlungen mittels bestimmter – in DaF-Lehrwerken ebenfalls stark fokussierter – sprachlicher Formate mit Modalverbverwendungen realisiert und interaktiv ausgehandelt werden. Die Auswahl und Markierung konkreter sprachlicher Formen sowie sequenzieller und gesprächsstruktureller Einheiten hat zum Ziel, relevante sprachhandlungsbezogene Phänomene herauszuarbeiten, die als solche in die Sprachvermittlung integriert werden können.

Der Zugang zu weiteren authentischen Gesprächsausschnitten mit für die Sprachlehre relevantem thematischem Wortschatz wurde innerhalb des ZuMult-Projekts entwickelt und in die ZuHand-Anwendung integriert. Während die anderen ZuMult-Prototypen strukturierte Auswahl-, Anzeige-, Recherche- und Analysetools für das gesamte FOLK-Korpus sowie das GeWiss-Korpus zur Verfügung stellen, handelt es sich bei ZuHand also um ein selektives und in dieser Form v.a. auch exemplarisches Angebot aufbereiteter Gesprächsdaten aus einem Subkorpus von FOLK. In diesem Subkorpus enthalten sind u.a. z.B. private Telefon- und Tischgespräche, Koch- und Back-Interaktionen, behördliche Beratungsinteraktionen, Schulunterrichts- und Fahrschulstunden, berufliche Meetings sowie Serviceinteraktionen (detailliertere Informationen dazu folgen in Abschnitt 2 unten).

Das Vorgehen bei der Annotation selbst ist als qualitativer, manueller und datengeleiteter Prozess einerseits vom Annotationsverfahren für mündliche Diskurskommentierungen im GeWiss-Korpus inspiriert (vgl. dazu Meißner 2017). Andererseits ist es bezüglich der Aufbereitung und Darstellung auch an das Projekt CLAPI-FLE5 angelehnt, das Videoaufnahmen von spontansprachlichen Interaktionsausschnitten zu Sprachlehrzwecken aufbereitet und u.a. auch sprachliche Aktivitäten und Handlungen für die Ausschnitte angibt6.

Neben der ersten Anwendung in ZuHand, in der mit diesen kurzen Sprachhandlungssequenzen gearbeitet werden kann, fokussiert eine zweite Anwendung, wie oben kurz angesprochen, auf die Auswahl von Interaktionsausschnitten anhand bestimmter inhaltlicher Themen, die in Sprachlernkontexten häufig relevant sind. Diese wurde im Rahmen des ZuMult-Projekts auch in Anknüpfung an Funktionalitäten der anderen Prototypen (vgl. die entsprechenden Beiträge in diesem Themenheft)7 entwickelt und wird, ebenso wie die Handlungsannotationen, im folgenden Abschnitt genauer dargelegt. Dabei ist zu beachten, dass der Fokus hier auf dem spezifischen Zuschnitt des so zusammengestellten Gesprächsmaterials liegt, nicht etwa auf einer eingehenden Didaktisierung des Materials bzw. der Inhalte selbst.

2. Auswahl und inhaltliche Aufbereitung der Handlungssequenzen und themenbasierten Transkriptausschnitte

2.1 Auswahl

Das Korpus-Design von FOLK ist in erster Linie an einer mehrschichtigen Systematik von Interaktionstypen (aus der privaten, institutionellen und öffentlichen Domäne, sowohl face-to-face als auch medial vermittelt) ausgerichtet8, auf verschiedenen linguistischen Ebenen annotiert (Transkription, Normalisierung, Lemmatisierung, Part of Speech-Tagging – POS) und über die Datenbank für Gesprochenes Deutsch (DGD) vielfältig durchsuchbar und nutzbar (vgl. Schmidt 2014, 2016 und 2018). Auch wenn das Korpus nicht nur in der interaktions- und korpuslinguistischen Forschung, sondern auch in der universitären Lehre bei linguistischen Seminaren Anwendung findet, ist es hinsichtlich seiner Konzeption und inhaltlichen Aufbereitung nicht speziell auf den Einsatz in der Sprachlehre ausgerichtet. Sowohl die Struktur und Nutzungslogik der Datenbank als auch die Aufnahmequalität der Interaktionen entsprechen bezüglich Zugänglichkeit und Verständlichkeit häufig nicht den hohen Standards gängiger Lehrmaterialien und Hörtexte, sondern orientieren sich vornehmlich an den Forschungsinteressen von Linguist:innen mit spezifischen, empirisch ausgerichteten Fragestellungen. Daher wurde für die Annotationen in ZuHand in einem ersten Schritt zunächst ein kleineres Subkorpus von Gesprächen zusammengestellt. Die Interaktionen wurden nach den folgenden Kriterien ausgewählt:

  • - akzeptable Aufnahmequalität mit möglichst wenigen Hintergrundgeräuschen;

  • - relative Standardnähe bzw. nicht zu hoher Dialektanteil;

  • - wenig Simultansprechen;

  • - Zugänglichkeit des Settings (akzeptabler Aufwand bei der Explikation der Kontextspezifik von Handlungen und Themen);

  • - Vielfalt der Gesprächstypen aus allen Domänen und Lebensbereichen, von jedem Gesprächstyp aber maximal zwei Interaktionen.

Zum Zeitpunkt des Auswahlprozesses konnten diese Parameter nur heuristisch genutzt werden – im späteren Verlauf des Projekts wurde die Zusammenstellung aufgrund der Hör- und Leseeindrücke aber mit statistischen Ergebnissen der Auswertungen in ZuMal (zur Normalisierungsrate und niveauspezifischen Wortschatzabdeckung, vgl. Fandrych et al. 2023 in dieser Themenausgabe) abgeglichen und somit nachträglich ein Stück weit objektiviert (für eine Zusammenfassung der Ergebnisse vgl. Kaiser / Schedl 2021: 53–55). Das Subkorpus erhebt dennoch keinen Anspruch auf den Status eines Lehr-Korpus, das in genau dieser Form für individuelle Fragestellungen genutzt werden sollte, denn durch objektivierte Parameter und eine stringente Operationalisierung vorab kann der Auswahlprozess in zukünftigen Projekten sicher noch deutlich verbessert werden, ganz abgesehen von den nunmehr ausgearbeiteten Auswahlfunktionalitäten in ZuMal und ZuRecht (vgl. Frick / Helmer / Wallner 2023 in dieser Themenausgabe). Trotzdem kann eine solche qualitativ-sichtende Subkorpusbildung für bestimmte Zwecke und Zielgruppen zumindest exemplarisch als eine potentielle Herangehensweise in diesem Bereich betrachtet werden.

Das Subkorpus besteht aus insgesamt 45 Interaktionen mit einer Gesamtlänge von 34:09 Stunden und 335.163 transkribierten Tokens9. Der Anteil der Gespräche aus der Domäne Privat besteht aus 16 Interaktionen mit 16:45 Stunden und 176.118 Tokens. Enthalten sind u.a. Telefongespräche, Tischgespräche (beim Frühstück, Kaffeetrinken, im Restaurant, in der WG), Interaktionen beim Kochen, Backen und Renovieren. 23 Interaktionen kommen aus der Domäne Institutionell, mit 11:26 Stunden und 104.262 Tokens. Es handelt sich u.a. um behördliche Beratungsinteraktionen, Instruktionen (in der Schule, in der Fahrschule), berufliche Meetings, Serviceinteraktionen etc. Drei Interaktionen stammen aus der Domäne Öffentlich, mit 4:10 Stunden und 36.614 Tokens; sie sind in den thematischen Bereichen Wissenschaft und Politik verortet. Ebenfalls drei Gespräche kommen aus der Domäne Sonstiges, mit 1:47 Stunden und 18.169 Tokens. Bei diesen Daten handelt es sich um Interviews und ein experimentelles Setting (Maptask). Die Interaktionen sind nicht gleichmäßig über die deutschen Sprachregionen verteilt (bezüglich Aufnahmeregion bzw. sprachlich prägenden Regionen der Sprecher:innen), es sind aber aus jeder Großregion Interaktionen enthalten10. 14 der 45 Interaktionen sind empraktisch, d.h. die sprachliche Interaktion ist unmittelbar mit gegenständlichem Handeln verbunden bzw. darauf bezogen (z.B. Koch-Interaktionen), 31 sind nicht empraktisch, d.h. die sprachliche Interaktion steht selbst im Fokus (z.B. Tischgespräche). Die Gespräche finden überwiegend als Face-to-Face-Interaktionen statt, nur zwei der Interaktionen sind Telefongespräche. Da der Anteil an Videointeraktionen zum Zeitpunkt der Subkorpusauswahl auch in Gesamt-FOLK noch nicht so hoch war, sind leider nur ein Drittel der ausgewählten Interaktionen mit Videoaufnahmen dokumentiert.

2.2 Inhaltliche Aufbereitung

Die Annotationen in den Gesprächsdaten dieses Subkorpus sollen nun übergeordnet ein zusätzliches, vereinfachtes und unmittelbareres Zugriffsangebot für DaF-Lehrende bieten, gewissermaßen als Shortcut zu und Aufbereitung von möglichen Recherche- und Analyseergebnissen, die mittels bereits vorhandener DGD-Funktionalitäten der Tokensuche und händischen Kollektionsbildung auch individuell erarbeitet werden könnten11. Der Fokus lag hierbei erstens auf Begrüßungs- und Verabschiedungsformen in Eröffnungs- und Beendigungssequenzen (Paarsequenzen mit Grußformeln wie Hallo, Guten Morgen, Tschüss, auch elliptischen Formen wie Na? oder Fragen nach dem Befinden), zweitens auf Modalverbformaten, die innerhalb von Paarsequenzen zur Realisierung bestimmter rekurrenter sozialer Handlungen eingesetzt werden. Sowohl die hierbei fokussierten Formen als auch die Sprachhandlungsbezeichnungen basieren auf der Terminologie von Profile Deutsch (Glaboniat et al. 2017), der konzeptionellen Ausarbeitung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER; Europarat 2001 und 2020) für das Deutsche, und sich darauf beziehenden Lehrwerken. Für das Annotationsverfahren wurde allerdings erstens eine breitere formale Variation der möglichen Modalverbformate sowie der Begrüßungs- und Verabschiedungsformen einbezogen und zweitens die Sprachhandlungen zu komplexeren Bereichen zusammengefasst und entsprechend umfassender definiert (für eine ausführlichere und genauere Darstellung der theoretischen und methodischen Hintergründe der Phänomenauswahl und Annotationen vgl. Kaiser / Schedl 2021: 56–62).

Für die Modalverbformate (alle als teil-schematische Ausdrücke im Indikativ Präsens, mit V2- oder V1-Stellung und verschiedenen Personenindizes) und die Sprachhandlungsbereiche ergab sich letztlich folgende Zusammenstellung:

Tabelle 1

Zuordnung von Handlungsbereichen zu Formaten

1. (Nach-)Fragen zum Verständnis, Bitten/Aufforderungen12 bezüglich Hilfe, Informationen, Objekten, unter anderem z.B. in behördlichen und Dienstleistungs-/Serviceinteraktionen und in empraktischen institutionellen oder privaten Kontexten (auch Spiele) Können Sie X? | Kann ich X? | Könnte ich X? | Darf ich X? | Dürfte ich X? | Ich möchte X | Kannst Du X? | Sie könnten X | Magst Du (mir) X? | Ich mag X | Ich will X
2. Vorschläge und Angebote bezüglich Handlungen/Aktivitäten, Dienstleistungen, Objekten, unter anderem z.B. in privaten und institutionellen Planungskontexten und empraktischen Interaktionen (u.a. Kochen, Friseurgespräch) Wollen wir X? | Sollen wir X? | Soll ich X? | (Was) kann ich X? | Ich kann X | Wir können X | Wir könnten X | Möchtest Du X? | Willst Du X? | Möchten Sie X? | Was darf ich X? | Magst Du X? | Lass uns X | Lasst uns X13 | Du kannst X | Du könntest X
3. Ratschläge, Empfehlungen und Instruktionen/Anweisungen bzgl. Informationen oder Handlungen/Aktivitäten, unter anderem z.B. in institutionellen Interaktionen im Bereich Bildung, Beruf und professionelle Beratung, in privaten empraktischen Interaktionen (wie Badrenovierung u.a.); selektiv auch Bitten um Rat in Instruktionssequenzen Du solltest X | Du musst X | Du darfst X | Sie dürfen X | Sie brauchen nicht X | Ihr solltet X | Du sollst X | Ihr sollt X | Man soll X | Man sollte X | Soll ich X? | Sie müssen X | Sie müssten X | Ihr müsst X | Wir müssen X | Du kannst X | Du könntest X | Sie können X | Sie könnten X | Wir wollen X | Ich brauche nicht X | Du brauchst nicht X | Ihr braucht nicht X

Die teil-automatisch gesuchten Formate (vgl. Abschnitt 3 unten) wurden den funktionalen Handlungsbereichen nicht alleinstehend, sondern inklusive ihrer Sequenzeinbettung mit ebenfalls markierter folgender Reaktion in zweiter und ggf. auch dritter Position, Einschubsequenzen etc. zugeordnet. Dies erfolgte aufgrund einer groben sequenziellen, also induktiv-datengeleiteten Voranalyse, auch um solche Fälle auszuschließen, die sich keinem der drei ausgewählten Bereiche zuordnen ließen oder unklar bzw. unverständlich waren14. Durch die Eingrenzung auf drei a priori bestimmte funktionale Kategorien und auf ein bestimmtes Formenspektrum wird zwar sowohl die Polyfunktionalität der einzelnen Formen als auch die Formenvarianz der Funktionsbereiche vorab reduziert – ganz davon abgesehen, dass vordefinierte Handlungskategorien aus konversationsanalytischer Perspektive generell natürlich ohnehin als problematisch eingestuft werden müssen. Dennoch sind innerhalb jeder Kategorie durch die zusammengefassten Sprachhandlungsbereiche aber auch eine funktionale und formale Varianz ebenso wie Überschneidungsbereiche erlaubt und enthalten. Diese können – mit Blick auf die Zielgruppe der DaF-Lehrenden unter weitgehender Beibehaltung der in der Sprachdidaktik üblichen Bezeichnungskonventionen – eben gerade die Relevanz und Variabilität von sequenziellen und anderen Kontextfaktoren in der authentischen Mündlichkeit aufzeigen, die innerhalb konstruierter Lehrbuchdialoge bislang so wenig Beachtung finden. Dies gilt auch für die Annotation von Eröffnungs- und Beendigungssequenzen der Gespräche des Subkorpus, die sowohl gängige Begrüßungs- und Verabschiedungsformen enthalten als auch abweichende, dialektale oder umgangssprachliche Formen sowie typische Sequenzstrukturen und -bausteine wie gegenseitiges Erkundigen nach dem Befinden, Vorbeendigungssignale wie „okay“ etc.

Die anschließend zusätzlich zu den Handlungsannotationen entwickelte Zusammenstellung von thematischen Gesprächsausschnitten in ZuHand ergab sich vor allem aus dem allgemeinen Fokus auf themenbasiertem Wortschatz in der DaF-Lehre und in der Folge somit auch aus dem Desiderat, das FOLK-Korpus überhaupt nach zentralen, klar kategorisierten und strukturierten Gesprächsthemen durchsuchen zu können: Im FOLK-Korpus gehört die Metadaten-Kategorie „Inhalt (Themen)“ nicht zu den stratifikationsleitenden Parametern und wird bislang in einer offenen, unsystematischen und uneinheitlichen Liste geführt. Diese enthält übergeordnete, allgemeinere Themen neben sehr speziellen, untergeordneten Themen und lässt keine Rückschlüsse darüber zu, wie lange und in welcher Form über ein bestimmtes Thema gesprochen wird.

Für die Wortschatzbereiche Essen, Haus und Wohnung und Schule und Ausbildung wurden zunächst Wortschatzlisten erstellt, die auf dem Übungswortschatz „Sage und Schreibe“ (vgl. Fandrych / Tallowitz 2019: 32–35, 40–47, 64–71, 106–117) basieren. Ausgehend von diesen Listen wurden über eine komplexe Recherche in ZuRecht einige passende thematische Gesprächsausschnitte für die Zusammenstellung einer exemplarischen Auswahl in ZuHand identifiziert. Die Auswahl dieser drei Themen ergibt sich daraus, dass sie einerseits wichtige Wortschatzbereiche für die Grund- und Mittelstufe in Lehrbüchern für DaF abbilden, andererseits entsprechen sie auch relevanten Gesprächsthemen in einigen FOLK-Interaktionen aus der privaten und der institutionellen Interaktionsdomäne, bzgl. „Schule und Ausbildung“ teilweise auch in den GeWiss-Interaktionen.

Im folgenden Abschnitt werden die einzelnen Arbeitsschritte der Durchführung und Aufbereitung von handlungssequenz- und themenbasierten Annotationen und ihrer Implementierung in ZuHand genauer dargelegt.

3. Technischer Workflow: von der Datenbank über die Annotationstools bis zur Prototypenerstellung

In diesem Abschnitt wird der Auswahl- und Annotationsprozess von der Recherche und Kollektionsbildung in der DGD über den Export und die qualitative Annotation in Excel bis zur eigentlichen Annotation in EXMARaLDA15 (vgl. Schmidt / Wörner 2014)16 und schließlich der Implementierung in die Filter- und Anzeigefunktionen von ZuHand zusammenfassend dargestellt. Der Fokus liegt zunächst auf den Handlungssequenzen und -formaten, anschließend auf der Erstellung der Wortschatzlisten und Auswahl der thematischen Ausschnitte.

3.1 Recherche und Kollektionsbildung

Für die Eröffnungs- und Beendigungssequenzen konnte zunächst über einfaches Browsing der Gespräche des Subkorpus in der DGD händisch jeweils eine Kollektion gebildet und als solche im persönlichen Workspace gespeichert werden, anschließend wurden die entsprechenden Gesprächsausschnitte inklusive der zugehörigen FOLKER / OrthoNormal17-, EXMARaLDA- und Audio-Datei mittels der Downloadfunktion einzeln heruntergeladen und lokal gespeichert. Die Begrüßungs- und Verabschiedungsformen bildeten hier also nicht den formalen Ausgangspunkt der Suche, sondern wurden nachträglich identifiziert und innerhalb der Sequenzen annotiert (s.u.), wobei nicht jede berücksichtigte Eröffnung oder Beendigung einer fokalen Interaktion zwingend explizite Begrüßungen und Verabschiedungen enthält.

Für die Sequenzen aus den Handlungsbereichen Bitten/Aufforderungen, Vorschläge/Angebote etc. gestaltete sich der erste Schritt bereits komplexer, da die Suche einen formbasierten Ausgangspunkt haben sollte: Sämtliche teil-schematischen Modalverbformate (Abschnitt 2), die aufgrund einer Lehrbuchanalyse als potenziell vermittlungsrelevant identifiziert wurden (vgl. Genaueres dazu in Kaiser / Schedl 2021: 56–60), wurden über eine automatische Token-Query im Subkorpus gesucht, entweder als normalisierte, konjugierte Form oder als Lemma mit der POS-Einschränkung auf finite Formen (vgl. die Suchmaske in Abbildung 1). Anschließend konnten die Ergebnisse über eine Kontextsuche nach den relevanten Personalpronomen gefiltert und die Treffgenauigkeit damit noch verbessert werden, wobei die abgewählten Belege dennoch händisch kontrolliert werden mussten, da Fälle von (in der gesprochenen Sprache häufiger vorkommendem) Subjektdrop ebenso wie Belege innerhalb von subordinierten Strukturen oder mit Adverbien im Vorfeld ebenfalls berücksichtigt wurden.

Abbildung 1
Abbildung 1

DGD-Tokensuche in lemmatisierten Formen und nach POS im FOLK-Korpus

Auf diese Weise wurde für jedes Format eine Keyword-in-context (KWIC)-Ergebnisliste erstellt (vgl. Abbildung 1), im persönlichen Workspace gespeichert und jeweils als XML-Datei lokal heruntergeladen, sodass die KWIC-Listen als Tabellen in Excel geöffnet und dort sortiert werden konnten, vgl. Abbildung 2. Der in den KWICs jeweils angezeigte Link führt wiederum direkt zur Transkript- und Audio- (ggf. auch Video-)Belegstelle in der Datenbank, was eine qualitative Sichtung, Analyse und Vor-Kategorisierung (nach Sequenzposition und Handlungsfunktion) jedes Beispiels in seinem Kontext erlaubte.

Abbildung 2
Abbildung 2

KWIC-Export der Suchergebnisse in Excel inkl. händisch ergänzter Annotation

3.2 Export und qualitative Annotation

Alle gültigen Belege, die nach dieser Vor-Analyse einer der drei Kategorien zugeordnet werden konnten, wurden anschließend mit ihrem Sequenzkontext, also inklusive der relevanten reaktiven Handlung, ggf. Reaktionen in dritter Position, Vorlaufelementen, Einschüben oder Expansionen, als Ausschnitte einzeln aus der Datenbank heruntergeladen und lokal gespeichert.

3.3 Annotation im Partitur-Editor

Im nächsten Schritt wurden sämtliche Belege für die Annotation im EXMARaLDA-Partitur-Editor (vgl. Schmidt / Wörner 2014)18 geöffnet und anschließend Annotationsspuren angelegt: eine Spur (ein tier) für die interessierenden sprachlichen Formate (also sprecher-gebunden), eine zweite Spur für die Annotationen der Handlungssequenzen (also sprecher-übergreifend), vgl. Abbildung 3.

Abbildung 3
Abbildung 3

Annotation im EXMARaLDA-Partitur-Editor

In der Systematik ergaben sich dadurch die beiden übergeordneten Labels „category: action format (af)“ und „category: action sequence (as)“ (links in Abbildung 3). Dazu kommt außerdem noch die Kategorie „ar“ für die Annotation der (verbalen) Reaktionen auf die sequenzinitiierenden Modalverbformate in zweiter Position. Für den Annotationsprozess wurde hier ebenfalls nach verschiedenen zusammengefassten Kategorien unterschieden (Bestätigung/Zustimmung/Annahme/Ausführung, Ablehnung/Zurückweisung, non-answer (weder sprachlich noch non-verbal), non-verbale Antwort, unklar/Zwischenformen), diese wurden aber nicht systematisch analytisch oder statistisch ausgewertet und werden in ZuHand daher ohne Anzeige des Labels nur sichtbar markiert (s.u.; für Genaueres zu den Kategorien und ihrer quantitativen Verteilung im Subkorpus vgl. Kaiser / Schedl 2021: 64–66).

Sobald alle Annotationen vorlagen, konnten sie für einen ersten Zugriff und Überblick über das EXMARaLDA-Tool EXAKT (Analyse- und Konkordanz-Tool) als virtuelles Korpus zusammengestellt, dort durchsucht und wiederum in einer KWIC-Ansicht mit den Belegen und Annotationswerten angezeigt werden.

3.4 Implementierung in ZuHand

Für die Implementierung in die Webanwendung ZuHand wurden anschließend alle Annotationen aus den EXMARaLDA-Dateien extrahiert und in die ISO/TEI-Transkripte des FOLK-Korpus integriert. FOLK wurde anschließend mit Hilfe des Lucene-basierten Search Engine-Frameworks MTAS indexiert, sodass es mittels der CQP-QueryLanguage durchsucht werden kann (mehr dazu in Frick / Helmer / Wallner 2023 in dieser Themenausgabe). ZuHand basiert somit auf komplexen CQP-Anfragen, die bei der Betätigung des Auswahlfilters im Hintergrund ausgeführt werden.

Der Auswahlfilter besteht aus zwei Unterfiltern, die jeweils in Kombination zu benutzen sind: Zunächst wird ein Handlungssequenztyp ausgewählt, anschließend ein in dieser Sequenz-Kategorie verfügbares Handlungsformat, vgl. Abbildung 4.

Abbildung 4
Abbildung 4

Filter für Handlungssequenzen in ZuHand

Für die Eröffnungen und Beendigungen kann (ebenfalls über die oben abgebildeten Filter im Dropdown) vorab nur ausgewählt werden, ob Sequenzen mit oder ohne explizite Grußformate angezeigt werden (also z.B. Dienstleistungsgespräche mit „Guten Tag“ und „tschüss“ vs. Einstiege in fokussierte Interaktionen ohne Begrüßung, wie z.B. bei Urlaubsplanungsgesprächen in der Familie). Für die drei anderen Handlungsbereiche stehen alle jeweils zugeordneten Modalverbformate im Dropdown-Menü gesondert zur Auswahl. Angezeigt wird rechts daneben (vgl. ebenfalls Abbildung 4) dann die Liste der Belege mit ihrer Gesprächssigle, der Kurzbezeichnung zum Gesprächstyp, der Angabe zum Transkript und dem Link, über den sich der jeweilige Ausschnitt im Transkriptbrowser ZuViel (Zugang zu Visualisierungselementen für Transkripte; vgl. Schmidt / Schwendemann / Wallner in diesem Themenheft) öffnen lässt. In einem neuen Browser-Tab wird dort die vollständige Sequenz angezeigt, die annotierten Formate darin sind durch Unterstreichung markiert. Alle Funktionalitäten von ZuViel sind dann ebenfalls auf den Ausschnitt anwendbar. Insgesamt stehen in dieser Form 486 annotierte Sequenzausschnitte zur Verfügung, die für den Unterricht verwendet werden können (Weiteres dazu in Abschnitt 4).

Zusätzlich stehen über einen zweiten Tab in ZuHand (vgl. wieder Abbildung 4 oben) auch thematisch sortierte Gesprächsausschnitte zur Verfügung: Zu den im vorherigen Abschnitt bereits genannten drei Wortschatzbereichen Essen, Haus und Wohnung, Schule und Ausbildung können Sequenzen angezeigt werden, die relevanten Wortschatz zu diesen Themen enthalten. Die ausgewählten thematischen Ausschnitte wurden hierfür mit Hilfe der Transkript-ID sowie der Start- und End-Zeit in drei virtuellen Kollektionen gespeichert. Als solche werden sie in ZuHand abgerufen und mit Hilfe des Filters angezeigt. Für die Gesamtinteraktionen werden der Kurztitel, Angaben zu den statistischen Maßen aus ZuMal bezüglich Schwierigkeit und Wortschatz und eine kurze Inhaltsbeschreibung angezeigt. Der Beispielausschnitt selbst ist ebenfalls mit einem Kurztitel versehen, als Mouse-over öffnet sich ein Tooltip mit spezifischen Angaben zum Ausschnitt (auch zu den Schwierigkeitsmaßen und der Wortschatzabdeckung).

Per Link kann der Ausschnitt wiederum in ZuViel geöffnet werden; der im Transkript vorhandene Wortschatz wird darin in Gelb hervorgehoben und in der Gesamtwortliste links mit einem grünen Haken markiert. Neben den rein thematisch sortierten Beispielen stehen auch Ausschnitte zur Verfügung, die sowohl relevanten Wortschatz zu einem der drei Themenbereiche enthalten als auch eine annotierte Handlungssequenz. Diese kombinierten Beispiele lassen sich über den zweiten Filter im Themen-Tab einblenden, vgl. Abbildung 5:

Abbildung 5
Abbildung 5

Themenausschnittsanzeige in ZuHand

Insgesamt stehen 48 thematische Ausschnitte und weitere 25 Ausschnitte mit zusätzlich enthaltenen Handlungsannotationen zur Verfügung.

Wie im vorhergehenden Abschnitt bereits kurz angesprochen, basiert der für die drei Themenbereiche herangezogene Wortschatz auf dem Übungswortschatz „Sage und Schreibe“. Für die Aufbereitung des Vokabulars wurden zunächst alle Einträge aus dem Übungswortschatz in einer unstrukturierten Liste erfasst und anschließend überarbeitet: In separaten Text-Dokumenten wurden Lemmalisten erstellt und in einem ersten Durchgang solche Einträge gelöscht, die für eine kontextlose Stichwortsuche zu ambig oder zu unspezifisch waren19. Anschließend konnten basierend auf den Lemmalisten Suchanfragen in der CQP-Query Language generiert und auf den FOLK-Daten erprobt werden. Mittels mehrerer Testdurchläufe, die in ZuRecht ein Ranking der Interaktionen mit den meisten Treffer-Types und -Tokens ausgeben, wurden Spezifik und Passgenauigkeit der Wortschatzlisten überprüft. Anschließend konnten die Einträge entsprechend nochmals leicht angepasst werden.

Die Lemmalisten im CQP-Format, inklusive einiger komplexerer Queries (für Ausdrücke wie z.B. „Tisch reservieren“, „bar/getrennt/zusammen bezahlen“, „Wohnung/Haus/Zimmer anschauen“, „Frage stellen“, „Prüfung ablegen“ etc.), können für die Suche mit Wortlisten im Tab „Lemma- und Suchanfragelisten“ in ZuRecht benutzt werden (vgl. Frick / Helmer / Wallner in diesem Themenheft) und bilden auch die Grundlage für die Auswahl der Themenausschnitte in ZuHand, vgl. Abbildung 6:

Abbildung 6
Abbildung 6

ZuRecht Wortlistensuche

In ZuViel, wo die Listen ebenfalls abgerufen und unabhängig von dem Ausschnittssample mit dem jeweils eingeblendeten Transkript abgeglichen werden können, sind sie dagegen als einfache Wortlisten integriert (entsprechend den Formaten von Wortschatzlisten z.B. des Goethe-Instituts).

4. Exemplarische Nutzungsszenarien – Beispiele und Analyse

Abschließend sollen in Kürze noch zwei exemplarische Verwendungsszenarien zur Beispielsuche und -nutzung mit ZuHand umrissen werden, das erste zum Bereich der Verwendung von Modalverbformaten für bestimmte Handlungen, das zweite zum Bereich der Einführung bzw. wiederum auch handlungsbezogenen Kontextualisierung von thematischem Wortschatz.

Modalverben spielen in der DaF-Lehre eine wichtige Rolle, werden im Rahmen der Grammatikvermittlung bereits ab Niveau A1 eingeführt und dann in zunehmender Komplexität behandelt. Ihre Funktionen zum Ausdruck sozialer Handlungen werden in aktuellen Lehrwerken ebenfalls öfter explizit angesprochen, anknüpfend an entsprechende Redemittel-Listen für Sprachhandlungen im GER und Profile Deutsch. Auch auf den grammatischen Eigenschaften der Modalverben liegt zwar ein deutlicher Fokus, die Varianz ebenso wie Einschränkungen der Realisierungen bei Personenindizes, Tempus, Modus, Objekten und Infinitiven werden aber in der Regel nicht thematisiert. Das gilt auch für die Polyfunktionalität und Kontextspezifik vieler solcher Formate oder das komplexe formale Spektrum der sprachlichen Handlungsbereiche, in denen Modalverben als mögliche Ressource neben anderen verwendet werden20. In der Systematik von Profile Deutsch werden beispielsweise die beiden Formate Sollen wir X? und Wollen wir X? mit der sehr allgemeinen Funktionsbeschreibung nach Wünschen fragen in der Sprachhandlungskategorie Hilfe anbieten, als Subkategorie von Soziale Kooperation verortet. Als Verwendungsbeispiele werden nur Wollen wir heute Abend ausgehen? und Wann sollen wir essen? genannt, mit der Ergänzung, dass sich die Konstruktion in Ja-/Nein-Fragen, W-Fragen und Oder-Fragen findet. Auf der Suche nach authentischen Beispielen zum Verwendungsspektrum dieser sogenannten Redemittel könnten Lehrende nun also nach digitalen Materialquellen von authentischer mündlicher Interaktion Ausschau halten. In ZuHand finden sich für die übergeordnete Kategorie Vorschlag/Angebot sechs Instanzen von Sollen wir X. Die Treffer stammen v.a. aus privaten, häufiger auch empraktischen Interaktionen wie Kochen, Badrenovierung und Spielinteraktion, aber auch aus privaten Planungsinteraktionen.

4.1 Beispiel 1

Bei dem im Folgenden gezeigten Beispiel handelt es sich um ein WG-Casting, d.h. eine Zimmerbesichtigung von Interessenten, die in eine Wohngemeinschaft einziehen möchten21. Der Gesprächstyp kann für die DaF-/DaZ-Lehre vielfach interessant sein: Er verortet sich innerhalb der jugendlichen, studentischen Lebenswelt im privaten Bereich des Wohnens – ein Thema, das regelmäßig in Lektionsthemen von Lehrwerken vorkommt. Zweitens hat die Interaktion sowohl empraktische als auch nicht-empraktische Anteile: Das zu vergebende Zimmer ebenso wie die restliche Wohnung werden den Interessenten gezeigt, es geht aber ebenso um das gegenseitige Kennenlernen im persönlichen Gespräch. Eben diese beiden Aspekte werden im folgenden Ausschnitt 7 von Nicole (NJ), deren Zimmer in der WG frei wird, auch explizit angesprochen; die Interessentin Anna (AS) antwortet darauf:

Abbildung 7
Abbildung 7

ZuRecht Wortlistensuche

Zu Beginn des hier gezeigten Ausschnitts, bereits kurz nach Beginn der Interaktion, haben sich alle beteiligten Sprecher:innen, also auch die übrigen WG-Mitbewohner:innen, gerade um den Küchentisch versammelt. Einer der aktuellen Mitbewohner ist im Zeitraum der Besichtigungen im Ausland und wird daher per Skype über einen auf dem Tisch platzierten Laptop zugeschaltet. Die Bewerberin ist für ihn erst sichtbar, nachdem sie sich auf Anweisung der anderen frontal zur Kamera positioniert hat. Zu diesem Zeitpunkt realisiert Nicole die Äußerung „sollen wir erst talken oder erst zimmer zeigen“ (Zeile 64) als Alternativfrage mit der Modalverbkonstruktion Sollen wir X? und dem jugendsprachlichen, aus dem Englischen kommenden Ausdruck talken für ‚reden‘ bzw. ‚sich unterhalten‘. Annas unmittelbar anschließende Reaktion in Zeile 65 impliziert durch das Modalverb dürfen und die Modalpartikel ruhig eine Erlaubnis bzw. Zustimmung zu der (durch das Temporaladverb erst) zeitlichen Priorisierung der zuerst genannten Handlung. Diese Priorisierung bietet sich v.a. durch die gerade hergestellte räumliche Konstellation schon deutlich an: Alle Beteiligten sitzen um den Tisch und der per Video zugeschaltete Teilnehmer wurde durch eine vorangegangene Begrüßungssequenz in die Interaktion integriert. Um Anna zuerst das freie Zimmer zu zeigen, müssten die Anwesenden also wieder aufstehen und die gerade hergestellte Ordnung auflösen. Nicole bestätigt in dritter Position Annas Äußerung mit „okay“ und einer elliptischen Teilwiederholung des vorhergehenden Turns (Zeile 67)22. Hierbei ist aber bereits klar, dass beide in der Alternativfrage genannten Handlungen (‚talken‘ und ‚Zimmer zeigen‘) in der Folge gemeinsam ausgeführt werden; dies ist Teil des gemeinsamen Hintergrundwissens der Beteiligten zu den spezifischen Aufgaben und Zwecken der Interaktion. Daraus ergibt sich die Frage, ob es sich in diesem Fall bei der Oder-Frage mit dem Modalverbformat dann überhaupt um einen Vorschlag oder ein Angebot oder ein ‚nach Wünschen fragen’ handelt oder doch um etwas anderes. Auch die Reaktion auf das Frageformat kann schließlich nicht wirklich eine Zustimmung sein, sondern nur eine Entscheidung für eine der beiden Alternativen. Ein Vorschlag bezüglich einer optionalen Handlung liegt also nicht vor, da die Wahloption nur die Reihenfolge betrifft. Als Angebot kann die Äußerung insofern verstanden werden, als der adressierten Bewerberin durch die Oder-Formulierung freigestellt wird, über die Reihenfolge zu entscheiden. Diese orientiert sich aber in ihrer Antwort durch die Adressierung ihr und das Modalverb dürfen implizit an den praktischen Gegebenheiten der gerade entstandenen Gruppierung um den Tisch und auch an der bestehenden Teilnehmerkonstellation mit ihren geltenden sozialen Beteiligungsrechten und -pflichten: Anna ist als eine von mehreren Interessent:innen in einer fremden Wohnung; mit ihrer Reaktion auf die Alternativfrage signalisiert sie ihr Verständnis der Situation und ihre Bereitschaft, sich an die organisatorischen Präferenzen der WG-Bewohner:innen anzupassen. Abschließend kann also festgestellt werden, dass Nicoles Sollen wir X-Äußerung hier vor allem gesprächs- bzw. handlungsorganisatorische Funktionen erfüllt, und dass sowohl das Formulierungsdesign als auch der spezifische Handlungs- und Beteiligungskontext wiederum bestimmte Reaktionen ermöglichen bzw. erwartbar machen.

Diese und weitere Aspekte von geteiltem Wissen, Teilnehmerkonstellationen, übergeordneter Gesprächsorganisation usw. spielen in sozialer Interaktion für das Turndesign, also die konkrete formale Gestaltung sprachlicher Äußerungen, ebenso wie für ihre jeweilige Handlungsqualität auf ganz verschiedene Arten eine wichtige Rolle. Die hierfür notwendigen bzw. hilfreichen Zusatzinformationen zu den Sprecher:innen (Alter, Geschlecht, regionale Herkunft, Ausbildung etc.), zu ihren sozialen Rollen und Beziehungen und zu den Charakteristika der jeweiligen Interaktion (Domäne, Lebensbereich, Ort, Zeit etc.) sind bei FOLK jederzeit auch direkt aus dem Transkript heraus abrufbar.

Selbstverständlich ist das Beispiel selbst mit diesen Hintergrundinformationen noch komplex und voraussetzungsreich, nicht zuletzt durch die handlungsorganisatorischen Funktionen des fokussierten Formats. Der Ausschnitt kann dennoch interessantes und lohnendes Material für den DaF-Unterricht bieten, sofern der oder die Lehrende sich auf eine Einführung mittels schrittweise detaillierteren Granularitätsebenen einlässt und sowohl die Ressourcen des Sprach- und Weltwissens in der jeweiligen Erstsprache der Lernenden nutzt als auch diejenigen, die die vereinfachte und multimodale Korpusaufbereitung in den gezeigten Anwendungen bietet. Wie in Abbildung 7 zu sehen, steht zusätzlich zum Transkript für die Videos auch eine Untertitelung zur Verfügung, was eine große Erleichterung für den Nachvollzug der authentischen Gesprächssequenzen darstellen kann. Ein weiteres Feature der Webanwendung von ZuViel, die die Transkripte visualisiert, ist die farbliche Trennung von Beiträgen verschiedener Sprecher:innen, vgl. auch Abbildung 8 zum folgenden Beispiel.

4.2 Beispiel 2

Das zweite Beispiel stammt aus einer Kochinteraktion mit drei Freundinnen, hier liegt kein Video vor. Aurora (AG), Minerva (MK) und Fortuna (FF) kochen gemeinsam Nudeln mit Tomatensoße, teilen sich die Aufgaben auf und stimmen sich über ihre Vorlieben bezüglich der Zubereitung ab. Die gesamte Interaktion enthält somit viele Vokabeln aus dem Bereich Essen und Kochen, die hier in einem authentischen Gesprächs- und Handlungskontext gelernt bzw. auf einer mittleren Niveaustufe wiederholt und eingeübt werden können. Der im Folgenden gezeigte kurze Ausschnitt 8 verortet sich noch relativ zu Beginn der Interaktion, als die Beteiligten die Zutaten sortieren und sich darüber beraten, wie sie die Bolognese-Soße kochen wollen. Der Ausschnitt enthält zusätzlich ein in der Handlungskategorie Vorschlag/Angebot annotiertes Modalverbformat, Wir können X (Zeile 44), wurde also über die kombinierten Filterwerte Essen und Vorschlag/Angebot im Themenausschnitte-Tab in ZuHand ausgewählt:

Abbildung 8
Abbildung 8

Beispielausschnitt zu Wortschatz

Der markierte Wortschatz besteht aus den Substantiven „tomaten“ und „möhrn“ (Zeile 38 und 42) sowie der Verbkonstruktion „klein schneiden“ (Zeile 47). „tomaten“ steht in einer Kopula-Konstrution zusammen mit dem deklinierten Adjektiv „gelbe“, nachfolgend wird die Art der Tomaten genauer als „alte sorte“ definiert (Zeile 40). Das Wort Möhren kann als Variante mit dem später in der Interaktion verwendeten Karotten kontrastiert werden (siehe Zeile 295 bzw. den in ZuHand ebenfalls zu findenden passenden Ausschnitt) und spiegelt in der literarischen Umschrift außerdem die gängige, hörbare Tilgung des Endungsvokals wider. Die markierte Äußerung in Zeile 44 ist komplex und muss bezüglich Grammatik, interaktionaler Verweisstruktur und Mündlichkeitsphänomenen Schritt für Schritt betrachtet bzw. gegebenenfalls von Lehrenden und Lernenden gemeinsam analysiert werden: Zunächst wird die Feststellung, dass es Möhren gibt, mit dem jugendsprachlichen „geil“ als positiv bewertet. Anschließend folgert Minerva daraus rückbezüglich, dass diese (anaphorisch „des“ für das) also für die Bolognese-Soße (hier elliptisch nur „bolognese“) verwendet werden können, mit affirmativem „ja“ und konsekutivem „dann“ im Vorfeld. Die Äußerung wird außerdem mit der Modalpartikel „ja“ als Hinweis auf Naheliegendes oder Bekanntes sowie dem abschließenden question-tag „oder“ realisiert, was die Folgerung zugleich zu einem an die anderen Beteiligten gerichteten Vorschlag macht bzw. vor allem auch als solcher behandelt wird: Fortuna stimmt in Zeile 45 mit „ja“ zu und benutzt dann in einem konditionalen Format explizit das Verb vorschlagen, wobei der Satzteil „würd ich auch vorschlagen“ analeptisch auf die vorangegangene Äußerung von Minerva verweist und diese bestätigt, dann aber in einem folgenden Komplementsatz mit dass zusätzlich präzisiert, wie die Möhren genau für die Soße verarbeitet werden sollten. Dieser Satzteil wird allerdings abgebrochen und wiederum von Minerva kollaborativ vervollständigt.

4.3 Analysezusammenfassung

Wie die beiden Ausschnitte zeigen, bieten authentische Korpusbelege also reichhaltige Beispiele sowohl für wortschatz- sowie handlungsbezogene und interaktionslinguistische Aspekte als auch für die verschiedenen Besonderheiten mündlicher Sprachverwendung auf allen sprachlichen Ebenen. Umgangs- oder jugendsprachliche Lexik (in Bsp. 1 „talken“; in Bsp. 2 „geil“) wird in authentischen Verwendungskontexten rezipiert, in grammatikalischer Hinsicht können das Bewusstsein und Verständnis für medial bedingte Unterschiede im gesprochenen und geschriebenen Deutsch geschärft werden (in Bsp. 1 Wegfall des Artikels in „erst Zimmer zeigen“; in Bsp. 2 syntaktische Ellipsen, Vokaländerung von das zu „des“ oder Tilgung bis zu klitischem „s“, Verschleifung und Tilgung von guck mal zu „gu ma“ etc.). Schließlich besteht bei der Transkriptarbeit hinsichtlich solcher Phänomene immer auch die Möglichkeit, authentische Gesprächsausschnitte für niedrigere Niveaustufen zu vereinfachen und dann z.B. als Grundlage für selbst gestaltete Materialien (Dialoge, Rollenspiele etc.) zu verwenden. Im Bereich der mündlichen Kommunikation können somit sowohl produktive als auch rezeptive Fähigkeiten auf unterschiedliche Weise und bezüglich einer Vielzahl von Aspekten gestärkt werden.

Vor allem die oben genannten, mit den Mündlichkeitsphänomenen zusammenhängenden interaktiven Aspekte werden in Lehrmaterialien für DaF in der Regel nicht oder kaum thematisiert, obwohl sie entscheidend zu einem fundierten Verständnis sozialen Handelns in der Fremd- bzw. Zweit-, aber auch der eigenen Erstsprache beitragen können. Dies gilt auch dann, wenn die entsprechenden Beispiele aus didaktischen Gründen nicht in ihrer ganzen Komplexität behandelt und die zu fokussierenden Aspekte z.B. zunächst nur in der jeweiligen Erstsprache der Lernenden besprochen bzw. auf einer metalinguistischen Ebene reflektiert werden. Insofern können die hier präsentierten Zugänge ein konkretes Angebot für Lehrende sein, die solche Ressourcen als Mehrwert sowohl für die eigene linguistische Weiterbildung als auch für die Sprachvermittlung verstehen und darin integrieren möchten.

Notes

  1. Zugänglich über https://dgd.ids-mannheim.de (20.11.2022). [^]
  2. ZuHand basiert überwiegend auf den Ergebnissen eines kleinen Annotationsprojekts, das im Rahmen eines sechsmonatigen DAAD-geförderten Postdoc-Stipendiums 2019 an der Università degli Studi Roma III in Kooperation mit Frau Prof. Nied Curcio und den Orts- und DAAD-Lektor:innen durchgeführt wurde. [^]
  3. Vgl. zu allen drei Aspekten bzw. Desiderata auch Literatur aus der DaF-Forschung, z.B. Costa (2008); Reeg et al. (2012); Moraldo / Missaglia (2013); Imo / Moraldo (2015); Imo / Weidner (2018) u.a. [^]
  4. Vgl. auch Günthner / Schopf / Weidner (2021). [^]
  5. http://clapi.icar.cnrs.fr/FLE (20.11.2022). [^]
  6. Vgl. außerdem für das Deutsche auch die Plattform Gesprochenes Deutsch (https://dafdaz.sprache-interaktion.de) (20.11.2022), die ebenfalls aufbereitete Transkript- und Audioausschnitte mündlicher Interaktionen und Lehrmaterialien zu den entsprechenden sprachlichen Phänomenen enthält. [^]
  7. http://zumult.ids-mannheim.de/ProtoZumult (20.11.2022). [^]
  8. Vgl. für die Stratifikation von FOLK Kaiser (2018). [^]
  9. Unter folgendem Link kann das Subkorpus als virtuelles Korpus von registrierten Nutzer:innen der DGD aufgerufen, im eigenen Workspace gespeichert und selbst verwendet werden: https://tinyurl.com/FOLK-Subkorpus-DaF (20.11.2022). [^]
  10. Vgl. Kaiser (2018: 540ff.). [^]
  11. Über eine Eingabemaske können in der DGD einzelne oder kombinierte Wortformen oder Lemmata gesucht und die Ergebnisse mit ihrem unmittelbaren sequenziellen Kontext in Kollektionen gespeichert werden, vgl. Abschnitt 3. [^]
  12. In dieser Kategorie werden also in der Gesprächsforschung als Reparaturhandlungen bezeichnete Verständnisfragen, die sequenziell in der Regel einen Rückbezug auf vorangegangene Beiträge haben, mit prototypisch rein initialen Handlungen wie Bitten und Aufforderungen vereinfachend zusammengefasst. Beide machen aber eine Reaktion in der nächsten Position relevant und können eine neue Paarsequenz eröffnen. Dass sie ansonsten auf unterschiedliche Art in komplexere Sequenzen eingebettet sein können, wird an dieser Stelle vernachlässigt. [^]
  13. Lass uns X und Lasst uns X sind die einzigen Formate der Kollektion mit einem Verb, das nicht zu den Modalverben gehört, aber einige Ähnlichkeiten mit ihnen aufweist. Es weist in diesem Format eine imperativische Struktur auf und lässt sich funktional zwischen Vorschlägen und Aufforderungen verorten. Zudem kann es, anders als viele weitere Formate, die ebenfalls für Vorschläge genutzt werden können, gut Token-basiert recherchiert werden. Da es aus diesen Gründen für die Studie interessant war, wurden die entsprechenden Treffer im Subkorpus mit in die Auswahl aufgenommen. Es handelt sich um einen Adhortativ, der im Deutschen mit dem Konjunktiv und dem Pronomen der 1. Ps. Pl. oder umschreibend mit „lassen“ ausgedrückt wird (Seien wir ehrlich, Gehen wir los – Lasst uns ehrlich sein/losgehen). [^]
  14. Folgende Fälle wurden ausgeschlossen: unverständliche/schwer verständliche und damit unklare Belege, überwiegend verrauschte Äußerungen; (Selbst-)Zitate, Verwendungen in indirekter Rede und in Berichten über Vergangenes, Hypothetisches oder andere generische Verwendungen ohne situativen Handlungs- und Adressatenbezug; klar von den drei Handlungsbereichen abweichende Funktionen der jeweiligen Formate, wie z.B. Beschwerden, Vorwürfe, Beschwichtigungen, Bewertungen, Selbstpositionierungen etc. Für eine Weiterentwicklung des hier vorgestellten Ansatzes wäre natürlich auch ein rein funktions- oder rein Form-basiertes Annotationsverfahren interessant. So ließen sich unabhängig von introspektiv entwickelten Form-Funktionslisten die Zusammenhänge der formalen Realisierung sprachlicher Handlungen einerseits und der funktionalen Spannweite formaler Einheiten andererseits in authentischen Kontexten abbilden und für sprachdidaktische Zwecke zugänglich machen. Außerdem wären für die Annotation Revisionsprozesse wünschenswert, sodass die Ergebnisse auch durch ein inter annotator-agreement abgesichert werden können. Diese Validierung war für das vorliegende Projekt nicht umsetzbar. [^]
  15. EXMARaLDA ist eine Software, die u.a. einen Transkriptionseditor mit Annotationsfunktionen umfasst. [^]
  16. https://exmaralda.org/de (20.11.2022). [^]
  17. Vgl. https://agd.ids-mannheim.de/folker.shtml (20.11.2022) zum Transkriptionseditor und dem Tool zur orthographischen Normalisierung. [^]
  18. https://exmaralda.org/de (20.11.2022). [^]
  19. Beim Themenfeld Essen in der Unterkategorie Einladung zum Abendessen z.B. „Geschenk“, „Hochzeit“, „angenehm“, „lustig“ etc.; beim Themenfeld Haus und Wohnung in der Unterkategorie Wohnungseinrichtung z.B. „groß“, „klein“, „neu“, „hell“, „weiß“, „einschalten“, „besitzen“, „Bank“ etc.; beim Themenfeld Schule und Ausbildung in den Unterkategorien Im Klassenzimmer und Unterrichtssprache z.B. „Tatsache“, „Fehler“, „versuchen“, „faul“, „leicht“, „schwer“, „verstehen“, „zuhören“ etc. [^]
  20. Aus der Conversation Analysis und Interaktionalen Linguistik gibt es zu diesen Phänomenen dagegen einige Forschungsergebnisse, z.B. zu direktiv-kommissiven Handlungen (vgl. Couper-Kuhlen 2014), d.h. verschiedenen Arten von Bitten/Aufforderungen, Vorschlägen, Angeboten, Ratschlägen, Instruktionen etc., überwiegend zum Englischen, in geringerem Umfang aber auch zum Deutschen oder anderen Sprachen, mit Fokus auf Modalverbformaten und anderen sprachlichen Formen. Vgl. z.B. Lindström (2005); Curl (2006); Curl / Drew (2008); Rossi (2012); Zinken / Ogiermann (2013); Clayman / Heritage (2014); Stevanovich / Svennevig (2015); Kendrick / Drew (2016); Kaiser (2017); Deppermann / Cindark (2018), Thompson / Fox / Raymond (2021). Mostovaia (2015) beschäftigt sich explizit auch mit der Vermittlung im DaF-Unterricht, allerdings in schriftlichen Interaktionen. [^]
  21. Dieses Beispiel und die zugehörige Analyse werden in ähnlicher Form auch bereits in Kaiser / Schedl (2021: 73-76) vorgestellt. [^]
  22. Das begleitende Lachen deutet auch auf eine metapragmatische Rahmung des Ausdrucks talken hin, wird im Anschluss aber nicht weiter verhandelt. [^]

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Biographische Notiz:

Julia Kaiser war von 2017 bis 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Korpus-Projekt FOLK (Programmbereich Mündliche Korpora, Abteilung Pragmatik) am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (Mannheim). Sie beschäftigte sich dort u.a. mit den Inhalten, Funktionalitäten und Nutzungsszenarien der Datenbank für Gesprochenes Deutsch (DGD) und speziell des Forschungs- und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch (FOLK), besonders in Bezug auf dessen Stratifikation. 2019 arbeitete sie im Rahmen eines DAAD-geförderten Projekts an der Università degli Studi Roma Tre an Aufbereitungen der FOLK-Daten speziell für Nutzer:innengruppen aus der DaF-Lehre. Von 2020 bis 2021 war sie Teil des ZuMult-Projektteams. Inzwischen ist Julia Kaiser im Knowledge Management und Tender Management einer Unternehmensberatung in Frankfurt a.M. tätig.

Kontaktanschrift:

Julia Kaiser

d-fine GmbH, zuvor Leibniz-Institut für Deutsche Sprache

R5, 6–13

68161 Mannheim

Deutschland

julia.kaiser@d-fine.de