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Author: Jana Gamper (Justus-Liebig-Universität Gießen)
Der Beitrag widmet sich der Frage, wie sich SchülerInnen der Jahrgangsstufen 7 bis 11 im Kontext des Ausbaus des formellen Registers Mittel der Informationsverdichtung aneignen. Mithilfe einer querschnittlichen sowie explorativen Textkorpusanalyse (n = 182) wird der Ausbau von Nominalphrasen (NP) und Nominalisierungen erfasst. Die Analyse zeigt generell einen geringen, jedoch kontinuierlich steigenden Anteil in beiden Bereichen, wobei sich besonders ab der Jahrgangsstufe 9 substantielle Entwicklungen, was Anzahl und Varianz von Attributen und Nominalisierungen angeht, zeigen. Auffällig ist hierbei eine starke Streuung der Daten, die Abbildung der Heterogenität des Lernkontextes sowie Hinweis auf große individuelle Unterschiede ist. Diese Ergebnisse werden aus erwerbstheoretischer Sicht modelliert sowie vor dem Hintergrund von Sprachausbauprozessen in der Sekundarstufe diskutiert.
This paper addresses the question of how students in grades 7 to 11 acquire means of information condensation in the context of expanding the formal register. With the help of a cross-sectional and exploratory text corpus analysis (n = 182), the paper focuses on the expansion of noun phrases (NP) and nominalizations. The analysis shows a generally low but continuously increasing proportion in both areas, with substantial developments in the number and variance of attributes and nominalizations, especially from grade 9 onwards. Moreover, the data is strikingly scattered, which is a reflection of the heterogeneity of the learning context as well as an indication of large individual differences. These results are modeled and discussed against the background of language development processes in secondary education.
Keywords: NP-Ausbau;, Nominalisierung;, Sekundarstufe;, Sprachausbau;, Lernerkorpus;, schulisches Lernen, NP-expansion, nominalization, multilingualism, language acquisition, learner corpus, school-based learning
How to Cite: Gamper, J. (2022) “AUSBAU NOMINALER STRUKTUREN IN DER SEKUNDARSTUFE I. Eine textkorpusanalytische Studie”, Korpora Deutsch als Fremdsprache. 2(2). doi: https://doi.org/10.48694/kordaf.3551
Sprache, so die gängige Annahme, ist eine zentrale Komponente für schulischen Erfolg. Eingrenzbar ist dieses Postulat auf das Konstrukt Bildungssprache. Besonders (jedoch nicht ausschließlich) in Bezug auf mehrsprachige SchülerInnen liegt spätestens seit der Initiierung des FörMig-Projekts der Fokus schulischer Sprachförderkonzepte auf dieser Leitvarietät, deren Beherrschung als Voraussetzung für Bildungserfolg eingeordnet wird (vgl. Eckhardt 2008). Dabei ist oftmals nicht klar, welche Lernbedingungen und SprecherInnen sich hinter dem Konstrukt mehrsprachig verbergen und ob es in Bezug auf die Aneignung des bildungssprachlichen Registers ausreicht, SchülerInnen nach sehr allgemeinen sprachbiographischen Faktoren wie Ein- vs. Mehrsprachigkeit zu differenzieren. Hypothetisch werden über solche verallgemeinernden Merkmale nicht nur Zuschreibungen vorgenommen. Sie lassen auch individuelle Unterschiede zu stark in den Hintergrund rücken. Die Erfassung dieser Unterschiede ist jedoch grade im Kontext der schulisch induzierten Sprachentwicklung in Bezug auf Bildungssprache zentral, um passgenaue Instrumente zur Sprachstandsdiagnostik und -förderung entwickeln zu können.
Obschon dem Konstrukt Bildungssprache eine zentrale Rolle mit Blick auf schulische Sprachausbauprozesse zugestanden und grundlegende Erkenntnisse dazu eingefordert werden (vgl. z.B. Pohl 2016), fehlen besonders für die Sekundarstufe und damit für einen Aneignungszeitraum, in dem bildungssprachliche Strukturen das schulische Sprachlernen besonders prägen, quantitativ ausgerichtete Studien. Im Kontext des Ausbaus des sog. formellen Registers (vgl. Maas 2010, 2015) und zugrundeliegender literater Strukturen wird dabei dem Ausbau (Expansion) von Nominalphrasen (NP) eine zentrale Rolle zugesprochen (vgl. Feilke 1996; Norris / Ortega 2009; Biber / Gray / Poonpon 2011; Bulté / Housen 2012; Parkinson / Musgrave 2014; Kyle / Crossley 2018). NP-Ausbau bedeutet hier zum einen, dass LernerInnen im Zuge der Sprachentwicklung verschiedene Optionen der Attribuierung erwerben, aber auch, dass im Erwerbsverlauf zunehmend Nominalisierungen im LernerInnenrepertoire zu finden sind (vgl. z.B. Feilke 1996; Gray / Geluso / Nguyen 2019). Offen ist dabei jedoch, ob SchülerInnen der Sekundarstufe beim NP-Ausbau systematische Entwicklungstendenzen zeigen und welche individuellen Faktoren potentielle überindividuelle Ausbauprozesse beeinflussen können. Die vorliegende, explorativ angelegte Querschnittsstudie stellt einen Beitrag zu diesen Fragen dar und versucht, mithilfe eines Textkorpus (n = 182), bestehend aus argumentativen sowie beschreibend-instruierenden Texten zu erfassen, welche Formen des NP-Ausbaus SchülerInnen der Jahrgangsstufen 7 bis 11 einer Integrierten Gesamtschule verwenden. Die Schule liegt in einem sogenannten ‚sozial benachteiligten Quartier‘ mit einem vergleichsweise hohen Anteil nicht-deutscher HerkunftssprecherInnen. Neben der Frage nach Entwicklungstendenzen in Bezug auf den NP-Ausbau möchte der Beitrag auch der Frage nachgehen, ob potentielle individuelle Unterschiede mithilfe sekundärer Merkmale wie einer Mehrsprachigkeitsannahme, einem spezifischen sozialen Hintergrund und der Schulform erfasst werden können. Mit dem Fokus auf einen hochheterogenen Lernort lässt sich u.a. erfassen, ob sich allgemeine Faktoren wie eine (unspezifische) Mehrsprachigkeit oder ein tendenziell niedriger sozio-ökonomischer Hintergrund der Lernenden besonders im Vergleich zu den deutlich besser erforschten Kompetenzen von GymnasialschülerInnen in Unterschieden beim Gebrauch ausgebauter NPs und Nominalisierungen niederschlagen. Entsprechende Erkenntnisse bieten die Möglichkeit, zukünftige Studien bedarfsorientierter zu planen und ermöglichen es, die Erkenntnisse förderdiagnostisch zu nutzen bzw. in die Gestaltung von Lehr- und Lernmaterialien zu überführen. Die Studie richtet somit den Blick auf einen oftmals vernachlässigten, aber wichtigen Lernkontext.
Abschnitt 2 verortet das Konstrukt Bildungssprache zunächst aus theoretischer sowie erwerbsspezifischer Perspektive. In Abschnitt 3 erfolgt eine Gegenstandsbeschreibung samt einer Zusammenfassung des Forschungsstands zum NP-Ausbau und zur Rolle von Nominalisierungen im Kontext des schulisch induzierten Sprachausbaus. Abschnitt 4 umfasst die Korpusbeschreibung sowie Hinweise zur Datenaufbereitung und -analyse. In Abschnitt 5 werden dann die Ergebnisse der Korpusanalyse getrennt nach Attribuierungstypen und Nominalisierungen dargelegt. Abschnitt 6 diskutiert und reflektiert die Ergebnisse, bevor in Abschnitt 7 ein Ausblick gegeben wird.
Unter dem Konstrukt Bildungssprache wird meist mit Bezug zu Cummins (1979) ein schulspezifisches Register gefasst, dem trotz seiner Prominenz eine nicht zufriedenstellende Operationalisierung attestiert und innerhalb dessen das Fehlen erwerbsspezifischer Erkenntnisse als eines der drängendsten Desiderate beklagt wird (vgl. Pohl 2016: 73). Unterschiedliche theoretische Ansätze gehen davon aus, dass schulisches Lernen auf einen Epistemisierungsprozess (vgl. Pohl 2016) hin ausgerichtet ist, der mit dem Auf- und Ausbau spezifischer sprachlicher Merkmale einhergeht und oftmals mithilfe von Operatoren wie Beschreiben, Berichten, Zusammenfassen oder Argumentieren vermittelt wird.
Die Grundannahme, dass „kognitive Funktionen sprachliche Formen im Erwerb [evozieren] und umgekehrt“ (Pohl 2016: 62; Herv.i.O.), findet sich auch im Maas’schen Registermodell. Unter dem Begriff Sprachausbau fasst Maas die Annahme, dass im Zuge der ontogenetischen Entwicklung SprecherInnen drei große Registerfelder durchlaufen: Während das intime sowie das informelle Register durch (mündliche) Interaktion mit Bezugspersonen und alltägliche Interaktionssituationen einer natürlichen Aneignungslogik folgen, ist das formelle Register institutionell verankert. Da jedes Register spezifische sprachliche Ausprägungen mitbringt, stellt der Ausbau von Registern gewissermaßen einen Motor für Sprachausbau dar. Anders als die „situativ gebundenen kommunikativen Praktiken“ (Maas 2015: 3) dient das formelle Register als „zerdehnte Kommunikationssituation“ (Ehlich 1994: 35) der „(maximal) kontextfreien Darstellung von Sachverhalten“. Situativität auf der einen und Kontextentbundenheit auf der anderen Seite bilden sich sprachstrukturell in je spezifischen Ausprägungen ab, die Maas (2010) mit den strukturanalytischen Begriffspaaren orat und literat fasst.
Eine ähnliche (graduelle) Dichotomie findet sich auch bei Hulstijn (2015, 2019) im Rahmen der BLC-Theorie. BLC steht für basic language cognition und meint – in Abgrenzung zur extended/higher language cognition (HLC) – „the language cognition in the oral domains (comprehension and production of speech) that is acquired and thus shared by all adult native speakers“ (Hulstijn 2019: 159–160). Hierzu zählen Hulstijn zufolge hochfrequente Lexeme und grammatische Konstruktionen (vgl. Hulstijn 2015: 42), die unabhängig von extralinguistischen Einflussvariablen wie z.B. sozialem Hintergrund von allen L1-LernerInnen erworben werden. L1-Kompetenz (oder nativeness) zeichnet sich im Gegensatz zur HLC (definitorisch) durch eine Nicht-Variabilität bei den Sprecher-Innen aus. Charakterisiert wird HLC – einer schriftsprachlichen Domäne bspw. im Kontext von Schule – durch den Gebrauch von niedrig-frequenten Lexemen und morphosyntaktischen Konstruktionen und ihrem Vorkommen in „topics other than simple every-day matters“ (Hulstijn 2015: 22). Extralinguistische Faktoren wie Alter, Bildungsniveau, Arbeitstätigkeit, sprachbezogene Aktivitäten führen zu großer interindividueller Variabilität und Kompetenzunterschieden innerhalb der HLC (vgl. Hulstijn 2019: 165). Ein solcher Ansatz dekonstruiert nicht nur das Konzept eines kompetenten L1-Sprechenden (vgl. z.B. Hulstijn 2019: 168), sondern versucht, Kompetenzunterschiede von L1- wie auch L2-LernerInnen zu fassen. In Hinblick auf L2-LernerInnen, die einen frühen sukzessiven Erwerb oder einen späten Erwerb mit intensivem L2-Input (bspw. durch den Besuch einer Schule) durchlaufen haben, geht Hulstijn von einer mit L1-SprecherInnen vergleichbaren Kompetenz in der BLC-Domäne, jedoch – aus ähnlichen extralinguistischen Faktoren wie im L1-Erwerb – einer hohen Variabilität im Bereich der HLC aus. Lediglich bei denjenigen L2-LernerInnen mit einem späten Erwerbsbeginn (d.h. im Erwachsenenalter) und einer geringen Inputquantität lassen sich interindividuelle Kompetenzunterschiede im BLC-Bereich annehmen (vgl. Hulstijn 2015: 48–50).
Während sich Maas‘ Ansatz zur Operationalisierung sprachlicher Strukturen innerhalb des formellen Registers eignet, bietet sich das Hulstijn’sche Modell an, Variabilität zwischen Sprecher-Innen in unterschiedlichen linguistischen Domänen zu erklären. Konzeptionell ähneln sich die beiden Ansätze und fungieren hier komplementär.
Maas‘ Konzept des literaten Sprachausbaus weist zugleich Parallelen zu Ansätzen auf, die schulisch induzierten Sprachausbau als ein durch detachment (vgl. Chafe 1982) gekennzeichnetes „institutional framework in which children are socialized into ways of formal learning in our society“ (Schleppegrell 2004: 437) verstehen, das besonders durch seine starke schriftkulturelle Prägung (vgl. auch Halliday 1990) mit unterschiedlichen dekontextualisierenden, generalisierenden und expliziten Strukturen sowie einem hohen Grad der Integration einhergeht. „Integrated language“, so Chafe (1982: 39), zeichnet sich durch einen hohen Anteil von Propositionen pro Satz aus (vgl. auch Maas 2010). Eine solche Informationsverdichtung geht einher mit spezifischen Strukturen, v.a. im Bereich der nominalen Phrasensyntax, darunter besonders Formen der Prä- und Postmodifikation nominaler Kerne sowie Nominalisierungen. NP-Ausbau und Nominalisierungen stellen wichtige Erwerbsziele im Kontext des schulischen Lernens dar und stehen entsprechend im Fokus der vorliegenden Untersuchung.
Attribuierungen und Nominalisierungen stellen im Bereich der nominalen Syntax primäre Optionen der Informationsverdichtung (auch: Kondensierung, vgl. Lehmann 1982, sowie density, vgl. Schleppegrell 2004) dar und werden bspw. im Kontext des CAF-Frameworks (complexity, accuracy, fluency) und dabei mit Blick auf die Zweitsprachaneignung als Komplexitätsindikatoren eingeordnet. Komplexität wird hierbei (grob) als Zusammenspiel relativer und absoluter Parameter verstanden, wobei sich erstere u.a. auf den Aneignungszeitpunkt und letztere auf strukturelle Aspekte beziehen (vgl. Bulté / Housen 2012; Housen et al. 2019). Generell wird Komplexität als Interaktion quantitativer (breadth) sowie qualitativer Merkmale (depth) wie beispielweise dem Grad der (syntaktischen) Integration gefasst (vgl. Bulté / Housen 2012 sowie Hennig 2020). Ausgebauten NPs wird hierbei, unter Berücksichtigung quantitativer und qualitativer Parameter, ein hohes Maß an Komplexität zugesprochen.
Der NP-Aufbau folgt dem im Deutschen gängigen Prinzip des klammernden Verfahrens (vgl. u.a. Ronneberger-Sibold 1994) mit dem Nomen als rechtem und Determinierern als linkem Rand der Klammer. Nominale Kerne können auf unterschiedliche Weise prä- und/oder postnuklear attribuiert werden, wie die LernerInnenbeispiele (1) bis (3) illustrieren1.
Nicht nur Attribute, auch Nominalisierungen im Sinne von Deverbierungen oder Deadjektivierungen stellen eine lexikalische Verdichtung in Form einer strukturellen Kondensierung dar, die wiederum (Stellungs-)Felder (bei Schmidt 1993 als Vor- und Nachfelder klassifiziert) der Attribution eröffnet. Nominalisierte Kerne und Prinzipien der Attribution greifen somit als Mittel der Informationsverdichtung ineinander. Die Verdichtung von Informationen ist Hennig (2020) zufolge dabei ein Resultat des Umverpackens von verbalen in nominale Ausdrucksstrukturen. Attribuierte NPs bedeuten dabei die „Reduktion des Verbalabstraktums“ (Lehmann 1982: 17), ein nominaler Ausdruck ist somit eine Alternative zur Realisierung zuvor verbal ausgedrückter Propositionen. Da durch das Umverpacken Angaben zu Tempus, Modus und Person (vgl. Lehmann 1982: 3) verloren gehen, haben Nominalisierungen eine Verallgemeinerung und Verdinglichung von Informationen (mit) zur Folge, was dem Prinzip der Generalisierung und Dekontextualisierung von Ereignissen oder Sachverhalten entspricht.
Eine weitere Funktion ausgebauter NPs und Nominalisierungen machen Schleppegrell (2004) sowie Fang / Schleppegrell / Cox (2006) im Bereich der textorganisatorischen Informationsstruktur aus: Schleppegrell (2004) zufolge destillieren Nominalisierungen vorhergehende Informationen und erlauben die Entfaltung einer „chain of reasoning“ (Fang / Schleppegrell / Cox 2006: 254). Charakteristisch dabei ist, dass „[n]ominalizations construct a series of events as a single grammatical ‘participant’ acting independently“ (Fang / Schleppegrell / Cox 2006: 263; s. Bsp. 4).
Analog zu informell-mündlichen Sprechhandlungen, in denen mithilfe von prosodischen Einheiten und v.a. pronominalen Referenten ein Geschehen entfaltet wird, erlauben Nominalisierungen im formell-schriftlichen Register somit die Entfaltung abstrakter Handlungszusammenhänge.
Die Rekonstruktion von Erkenntnissen zu der Frage, wie sich der NP-Ausbau im Kontext eines schulisch induzierten Erwerbs bei jugendlichen LernerInnen vollzieht, ist herausfordernd, weil Untersuchungen in unterschiedlichen theoretischen Frameworks verortet sind (z.B. in der Schreib- und Text-entwicklungsforschung oder im Rahmen des CAF-Frameworks), dadurch teils unterschiedliche Aspekte der sprachlichen Entwicklung fokussieren und in divergierenden Erwerbskontexten angesiedelt sind. Sehr grob lässt sich hier zunächst zwischen Studien zum L1-Erwerb und L2-Erwerb differenzieren. Zu letzteren finden sich insbesondere im Rahmen des CAF-Frameworks eine Reihe von Studien, die sich dem institutionellen Lernen erwachsener (oftmals studentischer) L2-LernerInnen widmen (vgl. z.B. Ravid / Berman 2010; Vyatkina 2013; Parkinson / Musgrave 2014; Vyatkina / Hirschmann / Golcher 2015; Neary-Sunquist 2017; Kyle / Crossely 2018; Gray / Geluso / Nguyen 2019; Kuiken / Vedder 2019; Michel et al. 2019; Sarte / Gnevsheva 2022), die i.d.R. einen Fremdspracherwerb (FS) im prototypischen Sinne durchlaufen. Ihre Erwerbsziele, -bedingungen und -voraussetzungen sind, auch wenn die Zielsprache oftmals Deutsch ist (z.B. Vyatkina 2013; Vyatkina / Hirschmann / Golcher 2015; Neary-Sundquist 2017), gänzlich andere als die derjenigen (jugendlichen und erwachsenen) LernerInnen, die in Studien im deutschsprachigen Raum im Fokus stehen. Hierbei handelt es sich oftmals um mehrsprachige LernerInnen (MSL) im sehr allgemeinen Sinne (s.o., vgl. Boneß 2011; Petersen 2014; Schellhardt 2015, i.V.; Schellhardt / Schroeder 2015b)2. Der Begriff mehrsprachig ist in diesem Kontext reflexionsbedürftig. Obwohl er insofern unscharf ist, als er unterschiedliche Typen von LernerInnen subsumiert (z.B. doppelter L1-Erwerb, (früher) sukzessiver L2-Erwerb ab ca. 3 Jahren, kindlicher L2-Erwerb, erwachsener L2-Erwerb), ist er eins der gängigsten Differenzierungsmerkmale. Der Großteil der Studien zum Sprachausbau im Deutschen kontrastiert dabei mehr- und einsprachige SchülerInnen, wobei ersteren eher eine Mehrsprachigkeitsannahme zugrunde liegt, die beispielsweise abgeleitet wird durch unterschiedliche Formen von Migrationshintergründen (z.B. die Zugehörigkeit zur ersten oder zweiten Zuwanderergeneration bei Petersen (2014) oder durch die Erfassung der sog. nicht-deutschen Herkunftssprache (z.B. im Fall von Schellhardt 2015 und Schellhardt / Schroeder 2015b). Boneß (2011) schließt dabei vom Merkmal mehrsprachig darauf, dass ihre ProbandInnen einen L2-Erwerb durchlaufen. Zwar lässt sich annehmen, dass L2-LernerInnen i.d.R. mehrsprachig sind. Umgekehrt haben jedoch nicht alle mehrsprachigen Sprecher-Innen einen L2-Erwerb durchlaufen. Eine Klassifizierung von SprecherInnen als L2-LernerInnen sollte streng genommen ausschließlich auf Basis des Erwerbsalters und dabei basierend auf einem age of onset nach dem dritten Geburtstag erfolgen (vgl. Riehl / Schroeder 2022). Auch die Erwerbsdauer (length of exposure) kann einen wichtigen Parameter darstellen. Eine solche auf engen Definitionskriterien ruhende Differenzierung von LernerInnentypen findet sich lediglich bei Siekmeyer (2013), die zwischen sog. BildungsinländerInnen auf der einen und SeiteneinsteigerInnen auf der anderen Seite differenziert, deren – wie in den zuvor aufgeführten Studien – Sprachausbauprozesse jeweils mit L1-SprecherInnen verglichen werden. Auch wenn die Gleichsetzung von Migration, Mehrsprachigkeit und L2-Erwerb aus unterschiedlichen Gründen, die hier aus Platzgründen nicht diskutiert werden können (vgl. jedoch dazu v.a. Riehl / Schroeder 2022), problembehaftet ist, ist es eine gängige Praxis (in der DaZ-Forschung), SchülerInnenpopulationen nach groben Merkmalen zu differenzieren. Ob eine solche Differenzierung individuelle Ausprägungen im Kontext des NP-Ausbaus erklären kann, ist umstritten (s.u.).
Um ein möglichst differenziertes Bild bezüglich des Forschungsstandes zum NP-Ausbau unter institutionellen Erwerbsbedingungen zu erhalten, werden die verschiedenen Erwerbskontexte im Folgenden getrennt dargestellt. In Bezug auf den L1-Erwerb zeigen u.a. Augst et al. (2007: 238) und Feilke (1996), dass sich bei SchülerInnen der Sekundarstufe ein grober Entwicklungsverlauf von zunächst koordinierenden hin und hypotaktischen und schließlich zu integrativen syntaktischen Strukturen findet, wobei als integrativ in beiden Studien u.a. Nominalisierungen und attribuierte NPs mit Partizipialattribut sowie satzwertige Linkserweiterungen (d.h. z.B. Relativsätze) in die Analyse eingegangen sind. Beide Studien beobachten diese Entwicklung für SchülerInnen der Jahrgangsstufen 7, 10 und 12 am Gymnasium sowie für Studierende. Der Anteil integrativer Strukturen steigt auf zunächst 10% in der Jahrgangsstufe 10 und auf 15% in Jahrgangsstufe 12. Feilke geht davon aus, dass die wichtigste Entwicklungsperiode in Bezug auf den Gebrauch integrativer Strukturen im Zeitraum zwischen 13 und 16 Jahren anzusiedeln ist. Dabei kommen integrative Strukturen zwar mit steigendem Alter systematisch, jedoch in vergleichsweise geringem Umfang vor (vgl. auch Augst et al. 2007). Neben integrativen Strukturen dominieren auch in den höchsten Jahrgangsstufen noch verbale Strukturen in Form der Koordination und Subordination (vgl. Feilke 1996: 202–205). Die Studien zeigen also, dass es nicht um einen vollständigen Ersatz verbaler Strukturen durch nominale geht, sondern um eine registerspezifische Erweiterung des Ausdrucksspektrums um nominale bzw. literate Strukturelemente. Fortgeschrittene LernerInnenvarietäten würden sich in dieser Lesart dadurch auszeichnen, dass sie auch, jedoch nicht ausschließlich erweiterte NPs sowie Nominalisierungen enthalten.
Der Trend, mit steigendem Erwerbsalter zunehmend integrative Strukturen im Sinne von ausgebauten NPs zu verwenden, zeigt sich auch in Bezug auf die Erwerbsdauer bei erwachsenen FS-LernerInnen im Ausland (vgl. Neary-Sundquist 2017: 254) sowie bei (vermeintlich) mehrsprachigen LernerInnen im deutschsprachigen Raum (vgl. Siekmeyer 2013; Petersen 2014; Schellhardt / Schroeder 2015b). Die unterschiedlichen Erwerbskontexte und LernerInnentypen weisen zudem Parallelen dahingehend auf, in welcher Reihenfolge einzelne Attributstypen erworben werden. Generell scheinen L1-, FS- und mehrsprachige LernerInnen zunächst einfach attribuierte vor mehrfach attribuierten NPs zu gebrauchen (vgl. Eisenberg et al. 2008 für FS; Feilke 1996 für L2; Schellhardt / Schroeder 2015b sowie Siekmeyer 2013 für MSL). Zu den ersten und prinzipiell häufigsten Attribuierungstypen gehören attributive Adjektive (vgl. Boneß 2011: 135; Petersen 2014; Schellhardt 2015; Schellhardt / Schroeder 2015b für MSL; Parkinson / Musgrave 2014: 55; Vyatkina / Hirschmann / Golcher 2015: 42 für FSL). Postmodifizierende Attribuierungstypen wie Genitivattribute sowie Präpositionalphrasen kommen später hinzu (vgl. Boneß 2011; Petersen 2014; Schellhardt / Schroeder 2015b; Siekmeyer 2013 für MSL; Parkinson / Musgrave 2014: 57 für FS). Grundsätzlich seltene und deshalb vermeintlich spät erworbene Strukturen stellen Partizipialattribute sowie postnominale Erweiterungen (bspw. als- oder wie-Phrasen) dar (vgl. Schellhardt 2015: 153). Fortgeschrittenere LernerInnen (wobei fortgeschritten hier sowohl ein höheres Erwerbsalter im MSL als auch eine längere Erwerbsdauer bei FS-LernerInnen meint) verwenden also mehr und längere ausgebaute NPs sowie ein größeres Spektrum von Attribuierungstypen (vgl. auch Ravid / Berman 2010: 18).
Weil der NP-Ausbau in fortgeschritteneren LernerInnenvarietäten zentral zu sein scheint, wird besonders im Kontext des CAF-Frameworks gefordert, nominale Strukturen als Komplexitätsindikatoren systematisch zu erfassen (vgl. Biber / Gray / Poonpon 2011; Parkinson / Musgrave 2014; Kyle / Crossley 2018) bzw. mithilfe einer multidimensionalen Betrachtung von Komplexitätsmaßen unterschiedliche Entwicklungs- und Ausbaustufen sichtbar zu machen (vgl. Norris / Ortega 2009; Bulté / Housen 2012; Neary-Sundquist 2017). Der skizzierte NP-Ausbauprozess lässt sich dabei mithilfe von quantitativen Parametern wie der Anzahl attribuierter NPs pro Satz (vgl. Sarte / Gnevsheva 2022), durchschnittlicher Wortzahl pro NP oder pro Satz (vgl. Feilke 1996; Petersen 2014; Neary-Sundquist 2017: 254) oder dem Anteil komplexer nominaler Strukturen pro Satz (vgl. z.B. Larsson / Kaatari 2020) erfassen und auch als Unterscheidungskriterium für unterschiedliche Erwerbsstände nutzen (vgl. z.B. Ravid / Berman 2010: 13; Liu / Li 2016).
Mehr- und einsprachige SchülerInnen unterscheiden sich in Bezug auf den NP-Ausbau zumindest aus quantitativer Sicht kaum voneinander (vgl. Boneß 2011; Petersen 2014; Schellhardt / Schroeder 2015b). In beiden Gruppen findet sich vielmehr auch dann eine große interindividuelle Variabilität (vgl. Boneß 2011; Petersen 2014 und besonders Siekmeyer 2013), wenn zum Beispiel die Schulform berücksichtigt wird. So kann Siekmeyer (2013) für die Jahrgangsstufe 9 sowohl für L1-LernerInnen als auch für mehrsprachige SchülerInnen (bei ihr als ‚BildungsinländerInnen‘ kategorisiert) wie auch für SeiteneinsteigerInnen zeigen, dass bei Berücksichtigung der Schulform (hier: Hauptschule, Realschule, Gymnasium) ein sehr heterogenes Bild entsteht, was den Gebrauch literater Strukturen angeht. Diese Erkenntnisse decken sich mit denen von Boneß (2011), die mittels eines Vergleichs von mehrsprachigen HauptschülerInnen und einem eher niedrigen sozio-ökonomischen Status (n = 4) und RealschülerInnen mit eher höherem sozio-ökonomischen Status (n = 4) einen zwar höheren, jedoch nicht signifikanten Anteil literater Strukturen bei letzteren ermittelt. In beiden Gruppen finden sich teils deutliche Unterschiede zwischen den ProbandInnen. Eine hohe inter- wie auch intraindividuelle Varianz zeigt sich auf bei FS-LernerInnen, deren Sprachausbau einer non-linearen Entwicklungslogik zu folgen scheint (vgl. Vyatkina 2013; Vyatkina / Hirschmann / Golcher 2015; Kreyer / Schaub 2018).
Generell scheint der individuelle NP-Ausbau von einer Vielzahl von Variablen abhängig zu sein. Neben extralinguistischen Faktoren wie Jahrgangsstufe/Alter, Erwerbsdauer, Schulform und sozio-ökonomischem Hintergrund (die offenbar nur einen bedingten Teil der Varianz erklären können) scheinen auch intralinguistische Faktoren wie das Medium (d.h. schriftlich vs. mündlich, vgl. Ravid / Berman 2010; Boneß 2011; Larsson / Kaatari 2020) sowie besonders die Aufgabenstellung Auswirkungen auf Vorkommenshäufigkeiten ausgebauter NPs und Attributstypen zu haben: Michel et al. (2019) machen einen deutlichen Aufgabeneffekt dahingehend aus, dass argumentative Texte sich dabei weniger für deren Elizitierung zu eignen (vgl. Gray / Geluso / Nguyen 2019: 142) scheinen, wobei sich der Effekt mit steigendem Sprachstand abzuschwächen scheint. Schellhardt (i.V.) zeigt außerdem, dass der Ausbau der jeweiligen Herkunftssprache (in ihrem Fall Türkisch) einen entscheidenden (positiven) Einfluss auf den Gebrauch ausgebauter NPs haben kann.
Insgesamt scheint sich eine Vielzahl an Faktoren darauf auszuwirken, ob und wie viele ausgebaute NPs LernerInnen gebrauchen. Der wiederkehrende Befund, dass im Kontext eines formell-schriftsprachlichen Registers ein hoher Grad an individueller Variabilität vorzufinden ist, spiegelt die Annahmen der BLC-Theorie (vgl. Hulstijn 2015, 2019) recht deutlich wider. (Erwerbs-)Studien, die im Bereich des Ausbaus der HLC verortet sind, müssen also jenseits einer groben Differenzierung von beispielsweise Ein- und Mehrsprachigkeit eine Reihe potentieller intra- wie auch extralinguistischer Variablen einbeziehen, die diese Varianz erklären können. Die vorliegende Studie ist nicht in der Lage, diesen Forschungsauftrag zu erfüllen und genügend varianzerklärende Variablen einzubeziehen (s. für die Gründe Abschnitt 4.1). Vielmehr möchte sie den Aspekt der interindividuellen Variabilität stärker adressieren als bisher häufig üblich (vgl. hierzu v.a. Wisniewski / Lüdeling / Czinglar i.Dr.).
Die querschnittsanalytisch angelegte Studie verfolgt vor dem Hintergrund des skizzierten Forschungsstandes fünf Ziele bzw. Fragestellungen:
Da bisherige Studien die Jahrgangsstufen 5, 7, 10 und 12 (vgl. Feilke 1996; Boneß 2011; Siekmeyer 2013; Petersen 2014; Schellhardt 2015, i.V.; Schellhardt / Schroeder 2015b) fokussieren, möchte die vorliegende Studie jahrgangsstufenspezifische Erkenntnislücken schließen und den Zeitraum von der Jahrgangsstufe 7 bis 11 systematisch in Hinblick auf NP-Ausbauprozesse erfassen.
Sie möchte ermitteln, ob und wie Attribute und Nominalisierungen als Mittel der Informationsverdichtung im Zuge des sukzessiven NP-Ausbaus ineinandergreifen.
Da sich mit Ausnahme einiger weniger Studien (z.B. n = 150 bei Feilke 1996) die oben skizzierten Erkenntnisse auf vergleichsweise kleine ProbandInnengruppen stützen (n = 8 bei Boneß 2011; n = 28 bei Schellhart/Schroeder 2015b; n = 31 bei Siekmeyer 2013), möchte die vorliegende Studie bisherige Erkenntnisse quantitativ prüfen und untermauern.
In bisherigen Studien sind Gymnasien überrepräsentiert (vgl. Augst / Faigel 1986; Feilke 1996; Becker-Mrotzek 2004; Petersen 2014; Schellhardt 2015, i.V. sowie Schellhardt / Schroeder 2015b), ‚niedrigere‘ Schulformen wie Gesamt- oder Gemeinschaftsschulen (vgl. Boneß 2011; Schellhardt 2015, i.V. sowie Schellhardt / Schroeder 2015b) und insbesondere Haupt- und Realschulen (vgl. Siekmeyer 2013) werden in deutlich geringerer Frequenz beforscht. Die Studie möchte deshalb den Blick auf eine von hoher Heterogenität geprägten Schule richten, um potentielle schulformspezifische Unterschiede sichtbar machen können.
Die meisten Studien berichten zwar Mittelwerte (mit Ausnahme von Petersen 2014, die auch Standardabweichungen angibt), jedoch finden sich bis auf Hinweise zu Varianzen keine konkreten Angaben zur Streuung der Daten. Die vorliegende Untersuchung möchte die individuelle Varianz erfassen und potentielle Erklärvariablen ermitteln sowie reflektieren.
Übergeordnetes Ziel der folgenden querschnittlich angelegten Korpusanalyse ist es, bisherige Erkenntnisse zum NP-Ausbau im Deutschen zu prüfen und zu ergänzen und damit zu einem besseren Verständnis von Sprachausbauprozessen im formell-schriftlichen Register bei jugendlichen SchülerInnen beizutragen.
Die Datengrundlage bildet ein Textkorpus (25695 Tokens) von insgesamt 107 ProbandInnen der Jahrgangsstufen 7 bis 11, die zu zwei unterschiedlichen Aufgabenstellungen 182 freie Texte verfasst haben (s. Tab. 1)3. In der von Haberzettl (2015) übernommenen argumentativen Aufgabe 1 (im Folgenden: arg) ging es um die Frage, ob Handys in der Schule erlaubt werden sollten. Die Aufgabe sah die Benennung von Vor- und Nachteilen der Handynutzung für Schule und Unterricht vor. Aufgabe 2 umfasste die Beschreibung eines Computers (im Folgenden: bes) und wurde in Zusammenarbeit mit Lehrkräften der Projektschule erstellt. Die SchülerInnen sollten einer Person, die keinerlei Kenntnisse von Computern hat, mithilfe von vier Teilfragen allgemeine Funktionen des Computers, das Schreiben von Texten und das Surfen im Internet erklären. Die Aufgabenstellung hat neben beschreibenden somit vor allem instruierende Elemente und lässt sich mit Becker-Mrotzek 2004 dem Typus der schriftlichen Instruktion zuordnen. Obwohl beide Aufgaben besonders für die niedrigeren Jahrgangsstufen 7 und 8 anspruchsvoll sind und sich entsprechende Operatoren noch im Aufbau befinden, ist es mit Blick auf die skizzierte Forschungsliteratur in Abschnitt 3.2 durchaus üblich, ähnliche Aufgabenstellungen auch in niedrigeren Jahrgangsstufen einzusetzen (z.B. Argumentationen bei Feilke 1996 sowie schriftliche Instruktionen bei Becker-Mrotzek 2004, jeweils in oder ab der Jahrgangsstufe 7). In allen Studien finden sich, wenn auch selten, auch in den niedrigeren Jahrgangsstufen ausgebaute NPs. Die Anteile sind dabei vergleichbar mit denjenigen in vermeintlich einfacheren Aufgabenstellungen (z.B. Nacherzählungen bei Schellhardt 2015 und Schellhardt / Schroeder 2015b).
Die Erhebung der Texte fand an einer Integrierten Gesamtschule4 in einer deutschen Großstadt durch die jeweiligen Klassenlehrkräfte statt. Die beiden Aufgaben wurden innerhalb von etwa 14 Tagen an zwei unterschiedlichen Terminen erhoben, wodurch nicht von allen SchülerInnen jeweils zwei bearbeitete Aufgaben vorliegen. Es wurde darauf verzichtet, eine externe Versuchsleitung in den Klassen einzusetzen, um eine maximal authentische Schreibsituation zu erhalten. Die Lehrkräfte wurden instruiert, die Datenerhebung als Übung zu deklarieren und keine vorherigen Maßnahmen (z.B. Sammeln von Argumenten oder Informationen zu den Aufgaben) zur Entlastung des Schreibprozesses zu nutzen. Trotz dieser Instruktion kann im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden, dass Hilfestellungen durch die Lehrkräfte erfolgt sind.
Der Zugang zu Metadaten war aus datenschutzrechtlichen Gründen stark eingeschränkt. Bis auf das Alter und die Jahrgangsstufe konnten keine weiteren Hintergrundvariablen der ProbandInnen erhoben werden. Metainformationen zu den ProbandInnen lassen sich damit ausschließlich auf Basis von sekundären Merkmalen ermitteln. So weist die betreffende Schule einen sogenannten ndH-Anteil (= nicht-deutsche Herkunftssprache) von knapp 90% auf. Mit der Kategorie ndH wird ermittelt, ob Kinder und Jugendliche zu Hause eine andere Sprache als Deutsch sprechen (vgl. kritisch dazu Vasilyeva 2013). Auf Basis des hohen Wertes lässt sich – in aller Vorsicht – annehmen, dass ein Großteil der SchülerInnen mehrsprachig ist. Diese Mehrsprachigkeitsannahme deckt sich mit informellen Befragungen der Lehrkräfte, die ihre SchülerInnen als überwiegend mehrsprachig bezeichnen. Sie gaben weiterhin an, dass es keine kürzlich zugewanderten SchülerInnen in den jeweiligen Klassen gab. Der überwiegende Teil der Schülerschaft ist vielmehr in Deutschland geboren oder im frühen Kindesalter zugewandert. Welche Formen der Mehrsprachigkeit vorhanden sind, lässt sich mit diesen Informationen nicht sagen. Ein weiteres sekundäres Merkmal ist das Stadtviertel: Die Schule befindet sich in einem ‚sozial benachteiligten Quartier‘, was ein Hinweis auf einen tendenziell niedrigen sozio-ökonomischen Status, aber auch auf ein ‚gemischtes‘ Einzugsgebiet sein kann. Der Erhebungskontext repräsentiert damit eine maximal heterogene Schülerschaft.
Die Daten wurden entsprechend der HIAT-Konventionen (vgl. Rehbein et al. 2004; Schellhardt / Schroeder 2015b) mithilfe des Partitureditors in EXMARaLDA (vgl. Schmidt / Wörner 2014) transkribiert, mithilfe von Weblicht5 lemmatisiert, normalisiert sowie automatisch POS-getagged (STTS, vgl. Schiller et al. 1999).
Eine anschließende manuelle Mehrfachannotation umfasste die Kategorisierung nominaler Kerne, wobei zwischen einfachen Nomen, Eigennamen, Komposita und Nominalisierungen differenziert wurde. Komposita wurden hinzugezogen, weil sie besonders in Arbeiten innerhalb des Bildungssprache-Frameworks als Mittel der Informationsverdichtung benannt werden (vgl. z.B. Gogolin / Duarte 2016). Als Nominalisierungen wurden nur nominale Konversionen aus Verbal- oder Adjektivstämmen (schreiben – das Schreiben, grün – das Grün, verbieten – das Verbot) sowie Derivationen (z.B. reden – das Gerede; freundlich – die Freundlichkeit) gewertet; hochfrequente und lexikalisierte Nominalisierungen wie Hausaufgaben, Funktion oder Drucker wurden als einfache Nomen kodiert. Sofern nominale Kerne als Verbindung von Kompositum und nominalisiertem Endglied auftraten (z.B. das Handyverbot), wurden die Lexeme als Nominalisierungen kodiert.
Zur Erfassung des NP-Ausbaus wurden auf Basis von Schellhardt / Schroeder (2015b) neben einfachen NPs 12 Attribuierungstypen manuell annotiert (s. für eine Übersicht die Beispiele 1 bis 3 in Abschnitt 3). Erfasst wurden attributive Adjektive, einfache sowie expandierte Partizipialattribute, prä- und postnukleare Genitiv-NPs, Präpositionalphrasen, Relativsätze, Infinitivsätze, Komplementsätze, Appositionen, expandierte postnominale Phrasen mit wie und als sowie Mehrfachattribute. Bei Letzteren wurden die jeweiligen Attribute nicht gesondert erfasst, was sich im Nachgang an die Analyse als ungünstig erwiesen hat, weil die Attributstypen samt der Vorkommenshäufigkeiten teils sehr aufschlussreich sind und einer separaten Erfassung bedürfen (s. dazu Abschnitt 5.2).
Aus der Datenanalyse ausgeschlossen wurden explizit aus den Aufgabenstellungen übernommene Formulierungen, Überschriften sowie formelhafte Wendungen wie Grußformeln. Nicht ausgeschlossen wurden formal fehlerhafte Strukturen wie Deklinationsfehler (z.B. dann kann man über der Tastatur lange oder kurze Texte schreiben), weil das Prinzip der formalen Korrektheit für die Fragestellung zunächst zweitrangig ist. Entscheidend war, ob und wie NPs jenseits von Prinzipien der Kongruenz attribuiert bzw. ob lexikalische Köpfe nominalisiert wurden.
Die Datenanalyse erfolgte auf der Basis absoluter sowie normalisierter Häufigkeiten, wobei Anteile pro 100 Token (je nach Struktur pro Text oder Satz) berechnet wurden. Ausreißer wurden nicht ausgeschlossen, weil sie echte Beobachtungen darstellen. Sofern eine Normalverteilung gegeben war, wurden Regressionsanalysen mit (generalisierten linearen) gemischten Modellen (GLMM, Package lme4 in R) durchgeführt, mit der Jahrgangsstufe als fixed effect und der Aufgabenstellung als random effect. Regressionsanalysen in Form von gemischten Modellen ermöglichen es, neben Mittelwerten auch individuelle Varianzen zu erfassen und zu ermittelten, ob und inwieweit die verfügbaren unabhängigen Variablen (Jahrgangsstufe, Aufgabenstellung) in der Lage sind, diese Varianzen zu erklären. Fixed effect (hier: Jahrgangsstufe) bedeutet dabei, dass angenommen wird, dass die Variable mit der Zeit keiner Veränderung unterliegt bzw. alle Individuen in gleichem Maße von der Variable ‚betroffen‘ sind. Random effects (hier: Aufgabenstellung) beziehen sich auf diejenigen Variablen, bei denen angenommen wird, dass sie zwischen Individuen nicht konstant sind bzw. ihr Effekt nicht vorhersehbar ist. War keine Normalverteilung gegeben, die Voraussetzung für die Durchführung von Regressionsanalysen ist, wurde der non-parametrische Kruskal-Wallis-Test und für die Posthoc-Analyse der Pairwise Wilcoxon Rank Sum Test verwendet. Der Nachteil solcher Tests ist u.a., dass sie ausschließlich unifaktorielle Effekte erfassen können. Ob ein Zusammenspiel von Variablen im Sinne eines Interaktionseffekts vorliegt (s.u.), lässt sich mit diesen Tests nicht ermitteln. Alle Analysen wurden mit R studio Version 1.4.1106 durchgeführt.
Insgesamt findet sich eine enorm große Streuung im Textumfang (s. Tab. 1), was ein Hinweis auf eine besonders große Heterogenität innerhalb dieser Gruppe ist, die durch die Variablen Jahrgangsstufe und Aufgabenstellung nur bedingt erklärbar ist. Trotzdem zeigt sich in Bezug auf die Tokenanzahl (s. Tab. 1) auf Basis einer Berechnung mit einem GLMM ein großer Effekt (p <.001; ŋ2 = 0.174) für die Jahrgangsstufe. Der Anstieg im Textumfang ist dabei zwischen den Jahrgangsstufen 7 und 8 (p = 0.008) sowie 10 und 11 signifikant (p = 0.006). Der Einfluss der Aufgabenstellung ist knapp signifikant (p = 0.046), die Effektstärke jedoch gering (ŋ2 = 0.033). Die argumentativen Texte sind hierbei im Mittel länger als die Instruktionen. Ein Interaktionseffekt6 zwischen Jahrgangsstufe und Aufgabenstellung findet sich nicht (p = 0.071). Das adjustierte R2 liegt bei 0.21, sodass die beiden Variablen (Jahrgangsstufe, Text) nur moderat zur Aufklärung der Varianz beitragen.
Der folgende Abschnitt widmet sich dem NP-Ausbau. Hierzu werden zunächst die (normalisierten) Anteile nicht-ausgebauter sowie ausgebauter NPs kontrastiert, wobei bei Letzteren zunächst alle Attributstypen zusammengefasst sind. Berechnet wurden die Anteile pro Satz (vgl. z.B. Larsson / Kataari 2020). Als Satz wurden diejenigen Einheiten erfasst, die ein finites Verb oder eine Infinitivkonstruktion enthalten (vgl. Petersen 2014: 168). Die Normalisierung der Anteile erfolgte durch die Berechnung der NP-Anteile pro 100 Sätze. Die normalisierten Anteile sind in Abbildung 1 zusammengefasst und in Tabelle 2 um durchschnittliche Häufigkeiten pro Text ergänzt. Weil die Daten an keiner Stelle eine Normalverteilung aufwiesen, erfolgte die statistische Analyse durchweg mithilfe von non-parametrischen Tests (s.o.).
Grundsätzlich zeigt Abbildung 1, dass in allen Jahrgangsstufen nicht-ausgebaute NPs dominieren und – das ist wenig überraschend – auch von allen ProbandInnen verwendet werden. Ausgebaute NPs sind seltener und lassen sich bei 18 ProbandInnen nicht identifizieren.
Der Anteil ausgebauter NPs nimmt in beiden Aufgabenstellungen ab Jahrgangsstufe 9 deutlich zu, während der Anteil nicht-ausgebauter NPs jahrgangsstufen- sowie aufgabenstellungsübergreifend in etwa gleichbleibt, sodass sich für nicht ausgebaute NP weder für die Jahrgangsstufe (p = 0.331) noch für die Aufgabenstellung (p = 0.556) ein Effekt findet. Für die ausgebauten NPs findet sich wiederum ein hochsignifikanter Effekt (p = <.001) mit hoher Effektstärke (η2 = 0.227) für die Jahrgangsstufe, jedoch kein Effekt für die Aufgabenstellung (p = 0.337). Der Jahrgangsstufeneffekt ist wiederum auf den in Abbildung 1 deutlich sichtbaren und hochsignifikanten Unterschied (p<.001) zwischen den Jahrgangsstufen 8 und 9 zurückzuführen. Auffällig ist, dass mit steigender Jahrgangsstufe die Streuung enorm zunimmt. In Jahrgangsstufe 11 ist die Varianz bei den ausgebauten NPs ganz besonders hoch. Es finden sich dabei SchülerInnen, die wenige bis gar keine ausgebauten NPs verwenden (s. Beispiel 5) und zugleich SchülerInnen, die in hohem Maße Gebrauch davon machen (s. Beispiel 6).
Ein Vergleich der Beispiele (5) und (6) zeigt deutlich die (typischen) individuellen Unterschiede innerhalb einer Jahrgangsstufe. Während sich in Beispiel (6) unterschiedlichste Attributstypen (u.a. attributive Adjektive, Genitiv-NP, Partizipialattribut, Präpositionalphrasen) finden und NPs in nahezu jedem Satz ausgebaut werden, kommt Beispiel (5) nahezu ohne ausgebaute NPs aus. Beide Texte beschreiben den Gegenstand zwar weitgehend generalisierend, jedoch mit gänzlich unterschiedlichen Mitteln. Während sich in Beispiel (5) zahlreiche zu-Infinitive sowie Konstruktionen mit dem Indefinitpronomen man und damit verbale Strukturen finden, stützen sich die Ausführungen in Beispiel (6) in hohem Maße auf nominale Strukturen, insbesondere Nominalisierungen, die neben der Informationsverdichtung auch eine informationsgeneralisierende Funktion übernehmen. Unterschiede gibt es auch auf makrostruktureller Ebene: Zwar weist Beispiel (5) eine grobe Struktur dahingehend auf, dass zunächst Vor-, dann Nachteile und schließlich die eigene Position wiedergegeben wird. Beispiel (6) weist zusätzlich dazu eine Einleitung samt Problematisierung des Gegenstandes auf, allerdings am Ende keine Konsolidierung o.ä. In Beispiel (6) wird weiterhin recht deutlich, dass ein intensiver Gebrauch ausgebauter NPs nicht zwangsweise mit sprachlicher Korrektheit einhergehen muss, insbesondere was die Deverbierung angeht (z.B. Beeinziehung, verschlechtung).
Solche jahrgangsstufeninternen Unterschiede lassen sich mitnichten auf allgemeine sprachbiographische Faktoren zurückführen. Ein Vergleich mit anderen Studienergebnissen zeigt, dass der Anteil integrativer Strukturen (im Sinne von ausgebauten NPs) sowohl bei ein- als auch bei ‚mehrsprachigen‘ SchülerInnen in der Jahrgangsstufe 7 tendenziell8 bei etwa 10%, in den Jahrgangsstufen 9 und 10 zwischen 10% und 20% (vgl. z.B. Feilke 1996; Boneß 2011; Siekmeyer 2013; Schellhardt i.V.) liegt und in der Sekundarstufe II auf mindestens 20% steigt (vgl. Boneß 2011; Schellhardt / Schroeder 2015b). Die in der vorliegenden Studie untersuchten SchülerInnen verhalten sich zudem im Schnitt nicht grundlegend anders als andere SchülerInnenpopulationen aus teils höheren Schulformen.
Zusammengenommen nimmt der Anteil ausgebauter NPs mit höherer Jahrgangsstufe kontinuierlich zu, wobei ein von der Aufgabenstellung unabhängiger deutlicher Anstieg vor allem ab Jahrgangsstufe 9 hin zu Jahrgangsstufe 10 und insbesondere 11 zu verzeichnen ist. Dabei scheint es jedoch eine starke interindividuelle Varianz zu geben, die weder durch die Jahrgangsstufe noch durch die Aufgabenstellung allein erklärbar ist.
Mit Blick auf eine potentielle Modellierung der Erkenntnisse im Sinne einer Erwerbsprogression ist es entscheidend zu erfassen, welche Attribute realisiert werden. Im ersten Schritt wird dazu für die einzelnen Jahrgangsstufen erfasst, in wie vielen der Texte die einzelnen Attributstypen vorkommen (s. Abb. 2). Aufgrund der geringen Vorkommenshäufigkeit und auch aufgrund des ausbleibenden Haupteffekts für die Jahrgangsstufe (s.o.) wird hier nicht mehr zwischen den beiden Aufgabenstellungen differenziert. Der Vollständigkeit halber enthält Anhang I eine entsprechend vollständige Aufschlüsselung9. In Schritt 2 wird die jahrgangsstufenspezifische Verteilung der einzelnen Strukturen geprüft.
Abbildung 2 zeigt, dass attributive Adjektive die in den meisten Texten vorkommenden Attribute waren (s. Bsp. 7). Danach folgen Präpositionalattribute (s. Bsp. 8), danach Relativsätze (s. Bsp. 9). Postnominale Genitivattribute (s. Bsp. 10) finden sich, je nach Jahrgangsstufe, deutlich seltener; besonders selten finden sich Texte mit Partizipialattributen (s. Bsp. 11). Mehrfach attribuierte NPs (s. Bsp. 12) kommen in vergleichsweise vielen Texten vor. Texte mit Appositionen, Infinitivergänzungen und wie-/als-Phrasen (s. Bsp. 13) kommen erst ab Jahrgangsstufe 9 in erwähnenswerter Zahl hinzu.
Ausgehend vom Anteil der Texte, in denen die jeweiligen Attribute vorkommen, lässt sich eine erste Rangordnung in Bezug auf Attributstypen ableiten (attr. ADJ > PP > REL > GEN > MULT > PART > sonstige), die durch jahrgangsstufenspezifische Merkmale gestützt werden kann. Der Anteil der Texte, die attributive Adjektive enthalten, steigt bis Jahrgangsstufe 10 deutlich und nimmt in Jahrgangsstufe 11 wieder ab. Während zwischen den Jahrgangsstufen 8 und 9 und damit parallel zum signifikanten Anstieg ausgebauter NPs (s. Abschnitt 5.1) der Anteil der Texte mit attributiven Adjektiven stagniert, zeigt sich ein teils deutlicher Anstieg bei Präpositional- und Genitivattributen sowie Relativsätzen. Bei Letzteren sinkt der Anteil in Jahrgangsstufe 8 zunächst im Vergleich zur Jahrgangsstufe 7 (ggf. zugunsten von Genitivattributen), bevor er dann in Jahrgangsstufe 9 deutlich anzieht. In Jahrgangsstufe 10 steigt der Anteil von Texten mit Präpositionalphrasen, Relativsätzen und Genitivattributen, erst in Jahrgangsstufe 11 finden sich deutlich mehr Texte, die zuvor kaum vorkommende Partizipialattribute enthalten. Diametral dazu sinkt in Jahrgangsstufe 11 der Anteil der Texte mit der ‚beliebtesten‘ Attributionsform, nämlich der der attributiven Adjektive. Während in den Jahrgangsstufen 7 bis 10 also eher einzelne SchülerInnen aus einem Gesamtrepertoire an Attributsmöglichkeiten schöpfen, tun dies in der Jahrgangsstufe 11 deutlich mehr SchülerInnen.
Die aufgezeigte Systematik lässt sich auch beobachten, wenn die Anteile der einzelnen Attribute in Abhängigkeit von der Jahrgangsstufe berechnet werden. Abbildung 3 enthält die normalisierten Anteile derjenigen Attribute pro lexikalischen Kopf, die mehr oder weniger systematisch vorkommen11. Die besonders seltenen Fällen (oben unter sonstige zusammengefasst) wurden aus Gründen der Übersichtlichkeit hier außen vor gelassen. Eine Aufschlüsselung der Anteile nach Jahrgangsstufe und Aufgabenstellung findet sich in Anhang II.
Auch wenn Abbildung 3 aufgrund der geringen Vorkommenshäufigkeiten (s. Tab. 3) sehr vorsichtig zu interpretieren ist, zeigt sich, dass das Auftreten einzelner Strukturen teils gänzlich, teils innerhalb einzelner Jahrgangsstufen auf einzelne Individuen begrenzt ist, insbesondere bei Partizipial- und Genitivattributen (s. auch Abb. 2). Präpositionalattribute und mehrfach attribuierte NPs treten erst ab Jahrgangsstufe 9 in erwähnenswertem, jedoch weiterhin sehr geringem Umfang auf. Bei den mehrfach attribuierten NPs (in über 90% der Fälle zwei Attribute) dominieren zudem Verbindungen aus attributivem Adjektiv und Präpositionalergänzung oder Relativsätzen und damit derjenigen Strukturen, die ohnehin vergleichsweise häufig vorkommen (s. auch Abbildung 4). Mit Blick auf Relativ-sätze zeigt sich eine ungewöhnliche Tendenz: Ein (mehr oder weniger) systematisches Auftreten findet sich v.a. in den Jahrgangsstufen 7 und 10, nicht aber in 8, 9 und 11 – zumindest wenn Einfachattribute berücksichtigt werden. Ihr Gebrauch ist vielmehr im Kontext mehrfach attribuierter NPs zu verzeichnen. Das sporadische Auftreten widerspricht gängigen Entwicklungsmodellen, die davon ausgehen, dass Relativsätze zu den häufigeren Attributstypen gehören (vgl. z.B. Schellhardt 2015: 154; Siekmeyer 2013). Der vorliegende Befund lässt zwei Erklärungen zu: Entweder stützt er die Annahme von Biber / Gray / Poonpon (2011), dass Relativsätze eher seltener in schriftsprachlichen Kontexten, sondern v.a. als Form der Erweiterung im mündlichen Diskurs zu finden sind. Denkbar ist mit Blick auf das gehäufte Auftreten von Relativsätzen bei mehrfach attribuierten NPs auch, dass sie eher seltener als alleinige Form der Attribution verwendet werden.
Zusammengenommen weisen die Ergebnisse darauf hin, dass attributive Adjektive zu den häufigsten Attributstypen zählen. Eine Stabilisierung im Gebrauch führt wiederum offenbar dazu, dass andere Attributstypen, allen voran Präpositionalphrasen sowie (verzögert) Genitivattribute sukzessive aufkommen. Partizipien gehören zu den seltensten Attributstypen. Diese grobe Tendenz unterliegt einer hohen individuellen Varianz, die durch Jahrgangsstufe und Aufgabenstellung nur bedingt erklärt werden kann.
Im dritten und letzten Analyseschritt wurde ermittelt, welche lexikalischen Köpfe die NPs enthalten. Grund für diesen Analyseschritt ist die Annahme, dass Nominalisierungen als Mittel der Informationsverdichtung eine Schlüsselrolle zukommt, wenn es um den literaten Sprachausbau geht. Ermittelt werden soll, ob und wie der Gebrauch ausgebauter NPs und Nominalisierungen ineinandergreifen. Differenziert wurde hierzu zunächst zwischen einfachen Nomen, Komposita und Nominalisierungen (s. genauer Abschnitt 4.2). Berechnet wurden auch hier die normalisierten Anteile pro Satz. Da auch in Bezug auf lexikalische Köpfe keine Normalverteilung in den Daten gegeben ist, erfolgte die statistische Analyse durchweg mithilfe von non-parametrischen Tests (s. Abschnitt 4.3). Abbildung 4 fasst die Entwicklung einfacher lexikalischer Köpfe, Komposita und Nominalisierungen zusammen (s. Tab. 4 für die normalisierten Häufigkeiten).
Für alle drei Typen lexikalischer Köpfe findet sich ein Effekt der Jahrgangsstufe, allerdings unterschiedlich stark ausgeprägt (p<.001 und ŋ2 = 0.084 für einfache Nomen, p = 0.011 und ŋ2 = 0.05 für Komposita und p<.001 und ŋ2 = 0.113 für Nominalisierung). Effekt und Effektstärke sind in Bezug auf den Einfluss der Jahrgangsstufe bei Nominalisierungen somit besonders hoch. Die Aufgabenstellung hat ausschließlich bei Komposita einen leichten signifikanten Effekt mit niedriger Effektstärke (p = 0.034, ŋ2 = 0.01; p = 0.158 bei einfachen Nomen und p = 0.928 bei Nominalisierungen). Dies ist potentiell auf den Gegenstand der Instruktion zurückzuführen, weil SchülerInnen in den Instruktionen häufig Komposita wie Emailprogramm, Internetanbieter, Schreibprogramm oder Internetbrowser verwenden.
Mit Blick auf den Jahrgangsstufeneffekt ist eine Korrelation mit dem Textumfang zu berücksichtigen: So korreliert der Anteil einfacher Nomen besonders stark mit der Gesamttokenzahl (Spearman’s rho = 0.849, p = <.001), während die Korrelation zwischen Textumfang und den anderen lexikalischen Köpfen deutlich geringer ausgeprägt ist (Spearman’s rho = 0.3966, p = <.001 für Komposita und Spearman’s rho = 0.325, p = <.001 für Nominalisierungen). Je länger die Texte, desto mehr lexikalische Köpfe jeden Typs verwenden die SchülerInnen also. In Bezug auf Nominalisierungen zeigen sich jedoch ein vergleichsweise seltenes Vorkommen sowie eine ungleiche Verteilung auf die Jahrgangsstufen. Der niedrigere Korrelationskoeffizient zwischen Tokenanzahl und Anteil von Nominalisierungen ist ein Hinweis darauf, dass Nominalisierungen nicht bloß ein Artefakt eines steigenden Textumfangs sind.
Ein Vergleich der Abbildungen 2, 3 und 4 zeigt, dass ausgebaute NPs ab der Jahrgangsstufe 9, Nominalisierung hingegen erst am Jahrgangsstufe 10 in höherem Umfang genutzt werden. Es zeigt sich also eine sukzessive Entwicklung dahingehend, dass zunächst überhaupt ausgebaute NPs vorkommen, dann das Attributsspektrum zunimmt und schließlich Nominalisierungen hinzukommen. Betrachtet man Nominalisierungen im Sinne von Maas (2010) als letzten Entwicklungsschritt im Bereich des NP-Ausbaus, eben weil mit ihnen Propositionen im lexikalischen Kopf und nicht (ausschließlich) phrasal ausgedrückt werden, so ließe sich erwarten, dass diejenigen SchülerInnen, die ausgebaute NPs nutzen, in zunehmendem Maße auch Nominalisierungen gebrauchen. Um dies zu prüfen, wurde entsprechend eine Korrelation von ausgebauten NPs und Nominalisierungen errechnet. Ermittelt werden konnte eine moderate, jedoch signifikante positive Korrelation (Spearman’s rho = 0.377, p = <.001) in dem Sinne, dass mit steigendem Anteil nominalisierter Köpfe der Anteil ausgebauter NPs sinkt. Dies kann als Hinweis auf die Verlagerung einer phrasalen Expansion hin zu Nominalisierungen interpretiert werden, die, wenn man von einer graduellen Entwicklung informationsverdichtender Strukturen ausgeht, recht spät im Sprachausbauprozess auftritt.
Im Zentrum der vorliegenden querschnittlich bzw. pseudolongitudinal angelegten Korpusanalyse stand die übergeordnete Frage, wie der NP-Ausbau in den Jahrgangsstufen 7 bis 11 erfolgt. Die Ergebnisse der Untersuchung lassen sich in Form von fünf Punkten zusammenfassen:
Ausgebaute NPs und Nominalisierungen kommen, trotz steigender Häufigkeit, jahrgangsstufenübergreifend jeweils seltener vor als nicht-ausgebaute NPs und einfache lexikalische Köpfe.
Bei den ausgebauten NPs dominieren jahrgangsstufenübergreifend attributive Adjektive. Partizipial- attribute kommen nur in den höheren Jahrgangsstufen und auch dort nur vereinzelt vor. Als zweithäufigste Strukturen lassen sich Präpositionalattribute sowie Relativsätze finden, deutlich seltener (post- nominale) Genitivattribute.
Die größten Veränderungen finden sich in beiden Gegenstandsbereichen in der Jahrgangsstufe 9. Ab der Jahrgangsstufe 10 und ganz besonders 11 findet sich tendenziell insofern eine Stabilisierung, als Vorkommenshäufigkeiten deutlich steigen und auch mehr SchülerInnen entsprechende Strukturen verwenden.
Die Streuung ist in allen Jahrgangsstufen teils sehr hoch. Entsprechend sind die beschriebenen Tendenzen auf einzelne Individuen zurückzuführen.
Die Aufgabenstellung hat an kaum einer Stelle einen Einfluss auf die beschriebenen Tendenzen.
Bestätigt werden kann mit dem vorliegenden Datenset, dass sich die substantiellsten Veränderungen um die Jahrgangsstufen 9 und 10 herum in dem Sinne zeigen, dass der Anteil ausgebauter NPs steigt und Nominalisierungen (wenn auch in geringem Umfang) verwendet werden (vgl. u.a. Feilke 1996; Schellhardt / Schroeder 2015b). Bestätigt werden kann zudem, dass der Anteil ausgebauter NPs bei SchülerInnen der Sekundarstufe im Verhältnis zu nicht-ausgebauten NPs deutlich niedriger ist (vgl. Schellhardt / Schroeder 2015b). Weiterhin nutzen auch die in der vorliegenden Studie untersuchten SchülerInnen am häufigsten attributive Adjektive und am seltensten Partizipialattribute (vgl. Boneß 2011; Parkinson / Musgrave 2014; Schellhardt 2015; Schellhardt / Schroeder 2015b; Fornol 2020). Die jahrgangsstufenspezifisch auf Basis der Anteile der Texte mit den entsprechenden Strukturen identifizierte Rangordnung‚attributives Adjektiv > (Relativsätze) & Präpositionalattribute > Genitivattribut > Partizipialattribut‘ entspricht dabei weitgehend den Befunden von Siekmeyer (2013) für mündliche SchülerInnenäußerungen in den Jahrgangsstufen 9 und 10. Auch wenn sich zahlreiche Parallelen zu dieser Entwicklung auch in Bezug auf das Vorkommen unterschiedlicher Attributstypen in Schulbüchern der Sekundarstufe (vgl. Gätje / Langlotz 2020) finden, müssen die identifizierten Entwicklungstendenzen kein unmittelbares Resultat des unterrichtlichen (impliziten) Inputs sein12. Gegen einen solchen unmittelbaren Einfluss spricht die wiederkehrende Varianz in den Daten. Ein Unterrichtseffekt in dem Sinne, dass sich behandelte Inhalte im Gebrauch abbilden, müsste nicht nur die Streuung verringern, sondern sollte v.a. mithilfe von Interventionsstudien ermittelt werden.
Nominalisierungen zählen, anders als sich vermuten ließe, nicht zu denjenigen Strukturen, die im Kontext des literaten Sprachausbaus zuletzt erworben werden. Die vorliegenden Daten weisen eher auf Partizipialattribute als besonders seltene und damit, ausgehend vom Komplexitätskriterium des Aneignungszeitpunkts (vgl. Bulté / Housen 2012; Housen et al. 2019), vermeintlich komplexeste Strukturen hin. Würde man die beobachteten Tendenzen entlang einer Komplexitätsskala anordnen (vgl. z.B. Maas 2010; Siekmeyer 2013; Gätje / Langlotz 2020), wären Nominalisierungen vor dem Auftreten von Genitiv- sowie Partizipalattributen herum anzusiedeln. Ob ein solches Ineinandergreifen von Nominalisierungen und spezifischen Attributstypen im Sprachausbau tatsächlich stattfindet, müsste mit einem größeren Datenset und/oder geschlosseneren Elizitationsverfahren sowie qualitativen Beispielanalysen überprüft werden.
Anders als angenommen findet sich in den Daten weder ein signifikanter Einfluss der Aufgabenstellung (vgl. Gray / Geluso / Nguyen 2019; Michel et al. 2019) noch die Tendenz, dass argumentative Texte eher seltener ausgebaute NPs generieren (vgl. Michel et al. 2019). Für die widersprüchlichen Befunde können mehrere Gründe in Frage kommen. So nivelliert sich bei Michel et al. (2019) der Aufgabeneffekt, wenn der allgemeine Sprachstand von LernerInnen steigt. Diese Erklärung könnte auch auf die vorliegenden ProbandInnen zutreffen. Das würde bedeuten, dass ein Aufgabeneffekt vor allem in niedrigeren Ausbaustufen oder, im Kontext des schulischen Lernens, in jüngeren Jahrgangsstufen ausgemacht werden könnte. Gegen diese Hypothese sprechen die Befunde von Augst et al. (2007) für L1-LernerInnen in der Grundschule, wo ebenfalls keine Aufgabeneffekte identifiziert wurden. Zugleich ist zu bedenken, dass der durchschnittliche Anteil der untersuchten Strukturen besonders in den niedrigeren Jahrgangsstufen teils verschwindend gering ist. Ob dies auf die Aufgabenstellung zurückführbar ist oder eine erwerbssequenzielle Tatsache ist, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Generell muss bedacht werden, dass die Studien von Michel et al. (2019) sowie Gray / Geluso / Nguyen (2019) FS-LernerInnen in den Blick nehmen. Zu prüfen wäre also grundsätzlich, ob ein Aufgabeneffekt ggf. spezifisch für diesen Aneignungskontext zu finden ist.
In Abschnitt 5.2 wurde darauf hingewiesen, dass die ermittelten Anteile nominaler Ausbaustrukturen zwar gering sind, sich im Mittel jedoch mit den Befunden anderer Studien decken. Auch wenn ein direkter Vergleich der Mittelwerte nur bedingt möglich ist, finden sich recht deutliche Parallelen dahingehend, dass sich nominale Ausbaustrukturen in den Jahrgangsstufen 7 und 8 kaum bzw. sehr selten finden, ab Jahrgangsstufe 9 in erwähnenswertem Umfang und – das ist zentral – systematisch hinzukommen und sich erst ab der Oberstufe im Gebrauch zu stabilisieren scheinen. Diese Tendenz zeigt sich sowohl für die vorliegende Studie an einer Integrierten Gesamtschule aus einem sog. ‚sozial benachteiligten Quartier‘ als auch für Gymnasien (vgl. Augst / Faigel 1986; Feilke 1996; Schellhardt / Schroeder 2015b; Schellhardt i.V.) sowie für Haupt-/Real- und Gesamtschulen (vgl. Siekmeyer 2013; Boneß 2011). Ein vergleichsweise geringes Vorkommen ist hierbei – und auch dies ist ein wiederkehrender Befund – teils Resultat der individuellen Variabilität, die auch noch bei Studierenden feststellbar ist (vgl. Petersen 2014). Beides scheint nicht begrenzt auf bestimmte Lernkontexte und LernerInnentypen zu sein (vgl. auch Vyatkina 2013; Vyatkina / Hirschmann / Golcher 2015; Kreyer / Schaub 2018; Kyle / Crossley 2018). Die vorgefundenen Parallelen zwischen den Studienbefunden werfen vielmehr die Frage nach einer (potentiellen) Bezugsnorm sowie nach Erklärvariablen für die geringen Vorkommen auf.
Klassischerweise würde man Studienergebnisse wie die hier vorliegenden mit einer Baseline vergleichen, um zum Beispiel Förderbedarfe für bestimmte SchülerInnenpopulationen zu identifizieren. Bei der Konstruktion einer solchen Bezugsnorm muss zunächst bedacht werden, dass hohe Anteile ausgebauter NPs und Nominalisierungen nicht per se ‚normal‘ sein müssen, weil so hochgradig nominalstilistische Textprodukte entstünden, deren Lesbarkeit und Verständlichkeit eher eingeschränkt wäre. Es stellt sich also die Frage, welche Anteile ‚ausreichend‘ und erwartbar sind und welche man als normabweichend einstufen würde. Eine solche Baseline ist für die Entwicklung diagnostischer Verfahren, von Lehr- und Lernmaterialien, Förderkonzepten und anderer bildungspolitischer Maßnahmen wichtig. Zugleich steht der Wunsch nach einer einheitlichen Bezugsnorm im Widerspruch zu wiederkehrenden Studienergebnissen sowie aktuellen theoretischen Modellen. Individuelle Variabilität zeigt sich im Kontext des literaten Sprachausbaus oder im Hulstijn’schen Sinne im Bereich der HLC-Domäne als zentrales Charakteristikum. Bei Hulstijn (2015, 2019) ist diese Variabilität ein zentrales definitorisches Merkmal dieser Domäne und damit gewissermaßen ‚normal‘. Konsequenterweise kann es für den literaten Sprachausbau im Bereich der HLC-Domäne nicht die eine, sondern mehrere Bezugsnormen geben. Hier schließt die Frage nach Erklär- oder vielmehr Einflussvariablen an.
In Hinblick auf die individuelle Variabilität lässt sich die Tendenz ausmachen, dass sich weder die Schulform noch allgemeine sprachbiographische Annahmen wie der ndh-Anteil, eine vermeintlich niedrigere Schulform oder ein potentiell sozial benachteiligtes Milieu (allein) auf den literaten Sprachausbau auswirken. Obschon diese Tendenzen einer empirischen Überprüfung mithilfe eines einheitlichen Studiendesigns bedürfen, lässt sich bereits jetzt folgern, dass allgemeine extralinguistischen Kategorien nicht hilfreich sind, um individuelle Variabilität zu erklären. Zukünftige Studien müssen somit weitere und bisher u.U. vernachlässigte Faktoren wie die Bedeutung des formellen Registers im Alltag der SchülerInnen im Sinne von sprachbezogenen Freizeitaktivität, Leseverhalten und ähnliches (vgl. Hulstijn 2019: 165) berücksichtigen, um besser zu verstehen, warum sich LernerInnen so unterschiedlich verhalten. Eine multifaktorielle Erfassung und Analyse individueller sowie institutioneller Faktoren ist notwendig, um zu verstehen, warum SchülerInnen mit vermeintlich ähnlichen Voraussetzungen so unterschiedliche Profile in ihrer sprachlichen Entwicklung aufzeigen (s. hierzu auch die Beispiele 5 und 6 in Abschnitt 5.1).
Die vorliegende Studie war ein Versuch, den schulisch induzierten Sprachausbau in den Jahrgangsstufen 7 bis 11 am Beispiel von ausgebauten NPs und Nominalisierungen aus quantitativer Sicht systematisch zu erfassen und zu diskutieren, mit welchen Faktoren individuelle Varianz erklärt werden kann. Ein offener Punkt ist dabei die Aussagekraft nominaler Strukturen allein, zumindest was den generellen Sprachausbau bei SchülerInnen der Sekundarstufe I angeht. Auch wenn nominale Ausbaustrukturen eine wichtige Funktion im Kontext des formellen Registerausbaus einnehmen, müssen weitere, dem formellen Register inhärente Strukturen wie generalisierende Ausdrücke (z.B. Passiv- und andere unpersönliche Konstruktionen, vgl. z.B. Gray / Geluso / Nguyen 2019) oder das Ineinandergreifen verbaler und nominaler Strukturen mitberücksichtigt werden. Ein multiperspektivischer Blick (vgl. dazu auch Norris / Ortega 2009) auf Entwicklungstendenzen könnte dazu beitragen, sprachliche Entwicklungsprofile von SchülerInnen in der Sekundarstufe zielgenauer und präziser zu erfassen.
Weiterhin hat der vorliegende Beitrag einen rein quantitativ-explorativen Blick auf Entwicklungstendenzen im Bereich des NP-Ausbaus geworfen. Dieser Zugang muss, sobald es um Aspekte der Angemessenheit geht, um qualitative Erkenntnisse und dabei um die Frage erweitert werden, ob Attribute und Nominalisierungen aus funktionaler Sicht angemessen verwendet werden (vgl. hierzu v.a. Fornol 2020). Ein mixed-methods-Ansatz könnte hier dazu beitragen, Profile und damit Entwicklungstendenzen zu schärfen.
Mit Blick auf das eingeschränkte Erklärpotential der wenigen verfügbaren Metainformationen zu den SchülerInnen macht der Beitrag recht deutlich, wie drängend die Erstellung und Verfügbarmachung von sowohl quer- wie längstschnittlich angelegten Lernerkorpora mit umfassenden Metadaten sind. Diese Metadaten müssen jenseits etablierter Kategorien wie dem sozio-ökonomischen Status oder sprachbiographischen Merkmalen wie Ein- vs. Mehrsprachigkeit angesiedelt sein, um die Heterogenität beider Populationen sichtbar und analysierbar zu machen. Die Erstellung und im Besonderen die Verfügbarmachung von Daten wird hierbei, trotz Einhaltens strenger Anonymisierungsauflagen, durch (ministerielle) Datenschutzregelungen oftmals verunmöglicht. Besonders die Zugänglichkeit von Daten minderjähriger LernerInnen wird ausgeschlossen oder an Auflagen geknüpft, die eine Anschlussnutzung von Korpusdaten erschweren. Wenn auch nachvollziehbar ist, dass Minderjährige im Allgemeinen und marginalisierte LernerInnen im Besonderen intensiven Schutzes bedürfen, ist es unumgänglich, eine bessere Zusammenarbeit zwischen studiengenehmigenden Behörden und Forschenden aufzubauen. Die Zugänglichkeit von Daten ist nicht nur im Sinne der gegenwärtigen open data- und open science-Bemühungen, sondern unbedingt notwendig, um ressourcenschonend Einblicke in Sprachentwicklung von SchülerInnen zu erhalten. Der Nutzen zugänglicher Daten für die Entwicklung diagnostischer Verfahren und Fördermaßnahmen ist besonders für bildungsbenachteiligte SchülerInnen kaum zu überschätzen. Ein besonderes Desiderat in Bezug auf mehrsprachige LernerInnen zeigt sich hier mit Blick auf sog. SeiteneinsteigerInnen und damit bei LernerInnen, die im schulfähigen Alter neu zuwandern. Diese SchülerInnen sind aufgrund der sehr kurzen Erwerbsdauer, die ihnen zur Aneignung des formellen Registers zur Verfügung steht, in besonderem Maße unterstützungsbedürftig. Korpora, die den Sprachausbau dieser LernerInnen in den Blick nehmen (wie z.B. Schlauch i.d.B.) sind damit besonders drängend.
Ein letzter Punkt berührt die theoretische Implikation der Studie im Kontext der Sprachentwicklungsforschung. Die identifizierte Systematik beim Gebrauch von Attributionstypen sowie das Ineinandergreifen von ausgebauten NPs und Nominalisierungen und die Ableitung einer überindividuellen Erwerbsprogression basieren auf einer Gleichsetzung von Gebrauch und Erwerb. Auch wenn dieses Vorgehen im Bereich der Lernerkorpusforschung nicht ungewöhnlich ist, braucht es einer kritischen Reflexion einer solchen Gleichsetzung. Dies umfasst zugleich auch eine methodische Erweiterung von Korpusanalysen um geschlossenere Elizitationsverfahren sowie experimentelle Verfahren und qualitative Analysen im Sinne eines multimethodischen Zugangs.
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Jana Gamper ist Professorin für Deutsch als Zweitsprache mit dem Schwerpunkt gesteuerter Zweitspracherwerb an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich des (Zweit-)Sprachlernens unter schulischen und institutionellen Bedingungen, der Sprachstandsdiagnostik im Bereich DaZ sowie der Beschulung neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher.